Ahnentanz
tilgen.
Doch das Mädchen an der Rezeption war freundlich – vielleicht aus echtem Mitgefühl, vielleicht weil sie einfach eine gute Schauspielerin war – mit den Polizisten, Eltern, Geschwistern und Freunden – all jenen, die in der Furcht hierherkamen, dass ein geliebter Mensch tot war, und all jenen, die erleichtert waren, dass die Tage der Sorge um einen geliebten Menschen vorüber waren.
„Hallo, Mr. Flynn“, begrüßte sie ihn.
Offenbar waren sie einander schon mal begegnet. Toller Privatdetektiv, der er war, erinnerte er sich nicht daran. Glücklicherweise wies ihr Namensschild sie als Ruby Beaudreaux aus, sodass ihm nichts anzumerken war.
„Hallo, Ruby.“ Er lächelte. „Ich hoffte, Dr. Abel sprechen zu können. Ist er da?“
„Ich schaue mal nach.“
Lächelnd nahm sie den Telefonhörer ab und wählte. Ihre Miene verdüsterte sich bei der Antwort vom anderen Ende. Aidan hörte Jon Abel brüllen.
Ruby legte auf und sah ihn entschuldigend an. „Er ist wirklich beschäftigt, tut mir leid.“
„Das ist in Ordnung. Ich kann warten.“
Ruby war noch jung. Sie errötete leicht, und genau das tat sie auch jetzt. „Oh, ich glaube nicht, dass das nützen wird.“
„Ich habe den ganzen Tag Zeit“, sagte Aidan fröhlich und setzte sich. „Sagen Sie ihm das. Ich werde hier sein – wann auch immer er fertig ist.“ Das Gebäude hatte vermutlich eine Hintertür, die Abel zweifellos benutzen würde. Er wollte den Mann nur wissen lassen, dass er die Sache nicht auf sich beruhen ließ.
„Sie möchten … dass … ich ihn noch einmal anrufe?“, fragte Ruby. Sie wirkte, als hätte er von ihr verlangt, einen Löwenkäfig zu betreten.
„Ja, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“
Sie zögerte und trat dann hinter ihrem Empfangstresen hervor. „Mr. Flynn, Sie müssen verstehen. Wir waren monatelangnach Katrina völlig überlastet. Sie können sich nicht vorstellen, wie furchtbar das war. Dr. Abel ist kein schlechter Kerl. Er hat nur viel hinter sich, so wie alle hier.“
„Das verstehe ich“, sagte er sehr ernst.
„Oh.“ Sie stellte die Frage nicht, sondern blieb stocksteif stehen und wartete einfach, dass er ging.
Sie betet geradezu, dass ich gehe, dachte er. Es tat ihm leid für Miss Beaudreaux, aber das würde nicht geschehen.
„Sehen Sie, egal was in der Vergangenheit geschehen ist, die Menschen sterben heute noch immer“, sagte er. „Es gibt noch immer Mörder dort draußen, und Dr. Abel ist sich dessen bewusst.“
„Oh Gott! Ermitteln Sie in einem Mordfall?“, fragte sie. „Ein möglicher Mord“, sagte er.
Sie nickte, streckte sich entschlossen und ging zurück zum Telefon. Sie sprach leise in den Hörer und sagte nach dem Auflegen: „Ich führe Sie nach hinten.“
Sie stoppte vor einem Autopsieraum und deutete auf eine Ablage mit weißen Kitteln. „Sie werden sich etwas überziehen wollen“, sagte sie.
Er schlüpfte in Kittel und Maske und betrat den Raum. Es sah so aus, als hätte Jon Abel die Autopsie gerade erst begonnen.
Aidan war sicher, dass der Körper im Tagesplan des Gerichtsmediziners später dran gewesen wäre, doch der Mann hatte ihn offenbar vorgezogen, um Aidan nicht sehen zu müssen.
„Ich sagte Ihnen doch, Flynn, dass ich beschäftigt bin“, begrüßte ihn der Arzt, ohne dabei aufzusehen. Er machte seinen ersten Schnitt, und eine grüne, faulige Flüssigkeit quoll aus dem Körper. Einer der Assistenten murmelte etwas und sprang zurück.
Abel sah auf, offenbar in der Hoffnung, dass Aidan ebenso abgeschreckt war.
Es ist abschreckend, dachte Aidan. Der Tod war oft abschreckend. Er konnte das natürliche Ende eines langen erfüllten Lebens markieren, doch allzu oft bedeutete er verwüstetes Fleisch und zerschmetterte Knochen und Horror in den weit offenen Augen derjenigen, die gewaltsam gestorben waren. Er hatte die Leichen von Menschen gesehen, die im Krieg getötet, ermordet, einem Anschlag zum Opfer gefallen oder sogar gefoltert worden waren. Es war nie leicht. Doch er hatte gelernt, nicht darauf zu reagieren. Jedenfalls normalerweise nicht.
Bei Serena hatte er reagiert.
Er verbannte den Gedanken daran aus seinem Kopf. „Ich schätze, dieser Typ lag eine ganze Zeit in der Hitze herum, bevor er entdeckt wurde, oder?“, fragte er.
Abel grunzte – vielleicht um ihm ein Minimum an Respekt zu zollen? „Leroy Farbourg. Ich vermute, dass er ungefähr eine Woche oben auf dem Dachboden lag. Laut den Cops behauptet seine Frau, dass sie ihn versehentlich
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