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Ahnentanz

Ahnentanz

Titel: Ahnentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Graham
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erschossen hat – viermal hat sie versehentlich auf ihn gefeuert. Das ist echt nicht leicht.“
    „Was hatte sie denn, eine Uzi?“
    „Nur Leroys alte Schrotflinte“, erwiderte Abel. Er war zurückgetreten, damit sein Assistent die faulige Flüssigkeit wegspülen konnte.
    „Gibt es irgendwas zu diesen Oberschenkelknochen?“, fragte Aidan.
    Abel straffte verärgert die Schultern. „Wie Sie sehen, bin ich beschäftigt.“
    „Sie könnten sie einem Kollegen oder einem Assistenten geben“, schlug Aidan vor.
    Das trug ihm einen giftigen Blick ein. „Mr. Flynn, haben Sie eine Ahnung, mit wie vielen unbekannten Leichen wir es hier zu tun haben? Oder besser: mit wie vielen Leichenteilen ?“
    „Vermutlich zu vielen, um sie zu zählen“, entgegnete Aidan gleichmütig. „Aber … bitte. Wenn Sie dazu kommen, schauen Sie sich bitte für mich diese Knochen an.“Abel starrte Aidan an. „Suchen Sie eine vermisste Person, Mr. Flynn? Haben Sie einen Klienten im Nacken sitzen? Falls ja, wird dieser Klient so lange warten müssen, bis ich eine gründliche forensische Untersuchung durchführen kann. Habe ich mich klar ausgedrückt?“
    „Ich habe keinen Klienten“, sagte Aidan.
    Abel schwieg giftig.
    „Ich würde Ihre Hilfe zu schätzen wissen“, sagte Aidan. Abel verdrehte die Augen, sagte dann aber mürrisch: „Ich werde mich in den nächsten Tagen an die Knochen machen. Und wenn ich das tue, rufe ich Sie an.“
    „Alles klar, vielen Dank. Wenn ich nichts von Ihnen höre, melde ich mich bei Ihnen“, versicherte Aidan ihm freundlich.
    Abels Skalpell schnitt tief in den toten Mann. Aidan fragte sich, ob es irgendein Gesetz gab gegen die Ausübung grober Gewalt an Toten. Doch im Moment konnte er hier nichts mehr ausrichten. Er dankte Jon Abel noch einmal höflich und verabschiedete sich.
    Kendall kannte alle Geschichten über Marie Laveau, die berühmte Voodoo-Queen von New Orleans. Die Frau hatte zweifellos Talent gehabt, aber war sie wirklich ein Medium gewesen oder eher eine erfahrene Meisterin in der Kunst des Zuhörens, die aus dem Gehörten die richtigen Schlüsse zog? Kendall war sich dessen noch nicht sicher. Aus den Tarotkarten zu lesen war tatsächlich einfach. Sie alle trugen verschiedene Bedeutungen. Die Todeskarte bedeutete keineswegs immer – sogar nur höchst selten – den Tod. Oft deutete sie auf Veränderungen hin, das Ende einer Sache und den Beginn einer anderen. Ähnliches galt für alle Karten. Tarotkarten zu lesen bedeutete einfach, sich hochkonzentriert zu geben, dabei vorsichtig ein paar gezielte Fragen zu stellen und dann so allgemeingültige Antworten zu geben, dass man nie das Gegenteil beweisen konnte.
    Die Teeblätter waren ein bisschen verzwickter – und zugleicheinfacher. Um Himmels willen, es waren Teeblätter. Niemand konnte vorhersagen, wie sie aussahen, wenn eine Klientin ihre Tasse ausgetrunken hatte, und eine gewitzte Leserin konnte alles Gewünschte daraus herauslesen.
    Ady Murphy kam seit Jahren zu Kendall. Sie war eine siebzigjährige Witwe, klein, rüstig und denkbar liebenswürdig, die sich nur zu gern aus den Teeblättern lesen ließ. Glücklicherweise erfand Kendall gerne Geschichten für sie. Ady hatte sechs Kinder, neunzehn Enkel und elf Urenkel. Nahezu alles, was Kendall sagte, brachte sie mit einem von ihnen in Verbindung. Doch die meiste Zeit hörte Kendall – ebenso wie Marie Laveau es getan hatte – einfach nur zu. Und dann überlegte sie sorgfältig, was sie sagte.
    Sie unterhielten sich, während sie in das kleine Hinterzimmer mit dem Tisch, den Kristallkugeln und den Karten gingen. Ady hatte ihre Teetasse in der Hand. Sie trank immer den gleichen Tee: Irish Cream.
    „Dann hatte diese Gaunerin Amelia also doch Verwandte!“, sagte Ady. Sie und Amelia hatten sich im Teeladen kennengelernt. Sie trugen immer ähnliche Baumwollkleider mit einem kleinen Hut und weißen Handschuhen und waren vom ersten Tag an glänzend miteinander zurechtgekommen. Als Amelia geboren wurde, war ihre Familie reich gewesen. Als sie starb, hatte sie nur ihr Haus und ein paar Schmuckstücke gehabt. Ady war ebenfalls auf einer Plantage geboren worden – in einer Hütte bei den Baumwollfeldern, auf denen ihr Vater arbeitete. Dort gab es weder fließend Wasser noch Elektrizität. Amelia hatte kein Kind, wohingegen Ady mit all dem Nachwuchs ein ganzes Footballteam produziert hatte. Doch die Frauen teilten etwas ganz Besonderes: die Liebe zu den gleichen Traditionen und Werten. Die eine

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