Ahnentanz
konnte es erst drei Monate her sein. Nicht lange genug, um eine Leiche so zerfallen zu lassen, dass nur noch Knochen übrig blieben. Außer man beschleunigte den Zersetzungsprozess. Wenn sie zerstückelt und der brütenden Hitze in New Orleans ausgesetzt worden war oder man sie in einem flachen Grab verscharrt hatte, wäre das möglich. Er war kein Gerichtsmediziner, doch er hatte genug Tatorte erlebt, undein Meter sechzig passte zu dem ersten Knochen, den er gefunden hatte.
Er griff nach einem Strohhalm, das wusste er, doch sein Bauchgefühl sagte ihm, dass er auf der richtigen Spur war. Und er hatte über die Jahre gelernt, seinem Instinkt zu trauen. Während er die Akte durchlas, spürte er Empörung in sich aufwallen. Hier war eine junge Frau, die alles richtig gemacht hatte: Sie hatte studiert und einen guten Job ergattert. Sie hatte gearbeitet und gespart. Sie hatte einen lang ersehnten Urlaub geplant – und war dann verschwunden. Und mit nur einer lebenden Verwandten – einer alleinerziehenden Mutter –, die man befragen konnte, war die Spur kalt und der Fall zurückgestellt worden.
Es gab noch ein paar andere Akten, die interessant schienen, doch die von Jenny Trent war die vielversprechendste.
Er nahm den Hörer und rief Jeremy an.
„Ich dachte, wir sehen uns in ein paar Stunden“, sagte sein Bruder.
„Das tun wir auch. Hast du irgendetwas über eine Jenny Trent?“
„Ja, tatsächlich habe ich die Akte ganz oben liegen.“
„Nach meinen Unterlagen gibt es keine Kreditkartenbelege für ein Hotel, Motel oder ein Bed-and-Breakfast. Über andere Belastungen weiß ich nichts. Hast du etwas?“, fragte Aidan.
„Ich habe eine Liste von Händlern. Die meisten von ihnen müssten wir aufsuchen, aber … ach, sieh mal an. Sie hat eine Kreditkartenbelastung von einem Ort, den wir kennen und mögen“, sagte Jeremy.
„Ach ja?“
„Das Lair of the Undead.“
Der Name sagte Aidan gar nichts. „Und das ist was?“
„Das ist der offizielle Firmenname des Hideaway – der Bar, in der ich gestern gespielt habe.“
„Aha“, murmelte Aidan. Er fragte sich, warum die Eigentümerihre Bar nicht einfach Lair of the Undead nannten. Der Name schien viel einprägsamer zu sein. „Wer ist bei dir als nächster Angehöriger angegeben?“, fragte Aidan.
„Mrs. Betty Trent, eine angeheiratete Cousine, in Lafayette.“
„Steht bei mir auch. Ich denke, ich werde zu ihr fahren, um mit ihr zu reden.“
„Das ist eine Zweistundenfahrt, Aidan.“
„Ich weiß. Ich möchte, dass du etwas für mich tust.“
„Was?“
„Geh bitte beim Tea and Tarot vorbei, in der Royal Street.“ „Um die höchst eindrucksvolle Miss Montgomery zu besuchen?“
„Eindrucksvoll?“, fragte Aidan. Ja, sie war eindrucksvoll, gab er zu. Aber warum sagte Jeremy das?
„Ach ja, richtig. Du hast ja ihren Auftritt gestern Abend verpasst“, sagte Jeremy. „Sie ist eine gute Sängerin. Ich frage mich, warum sie diesen parapsychologischen Laden betreibt“, sinnierte Jeremy. „Also … warum soll ich sie denn besuchen?“
Aidan sah auf die Uhr. Er würde fünf Stunden brauchen. „Sag ihr, dass ich sie um halb acht von zu Hause abhole.“ „Okay“, erwiderte Jeremy nur, doch Aidan hörte die Frage heraus.
„Ich glaube, dass sie mehr über die Flynn-Plantage erzählen kann.“
„Sicher“, sagte Jeremy.
„Und … ich würde gern mehr über ihre Beziehung zu Vinnie wissen.“
„Vinnie von der Band?“, fragte Jeremy.
„Genau. Dein Kumpel. Wie gut kennst du den Typen?“ „Wirklich nicht besonders gut, nur aus der Musikszene.“ „Wirkt er nicht ein wenig verschroben auf dich?“
„Wegen des Kostüms?“, fragte Jeremy belustigt. „Herrje, Bruderherz, das ist die Bourbon Street.“
„Treib dich da ein bisschen rum. Versuch etwas mehr über Vinnie und Mason Adler herauszubekommen.“
„Weil sie sie kennen und gerne in die Bar kommen? Aidan, du wirst die halbe Bevölkerung der Stadt befragen müssen, wenn dir das verdächtig vorkommt. Die Bar ist eine Szenekneipe.“
„Nun, ich kann ja schon mal mit zweien von den zigtausend anfangen, oder?“
„Sicher. Kein Problem.“ Was auch immer Jeremy dachte, er sagte es nicht. Sie legten auf, und Aidan bestellte bei der Rezeption seinen Wagen.
Kendall fühlte sich furchtbar. Es lag nicht am Kater, sondern am wenigen Schlaf oder besser gesagt, an dem ruhelosen Schlummer, in den sie nach der Entdeckung des Tagebuchs in ihrem Bett gefallen war.
Sie konnte sich des
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