Ahoi Polaroid
abgesetzt. Da in der Bundesliga weitergekickt. Zuerst bei Kaiserslautern. Dann Dortmund und Duisburg. Nach dem Fall der Mauer hat er wegen einer schweren Knieverletzung seine aktive Fußballkarriere beendet. Anschließend ist es um ihn ein wenig ruhiger geworden.«
»Pscht!« Plotek hielt den Finger vor den Mund. Auf dem Flur ging jemand an der Kabine vorbei. Die beiden rechneten schon damit, dass jeden Augenblick die Tür aufgehen und Sailer vor ihnen stehen würde. Aber nichts. Die Schritte verhallten. Die Tür blieb zu.
Vinzi berichtete weiter: »Mitte der neunziger Jahre ist seine Frau ums Leben gekommen. Bei einem Zimmerbrand, wegen einer brennenden Zigarette. Brandstiftung wurde nicht ausgeschlossen. Auch Sailer wurde verdächtigt. Es gab eine wohl nicht unerhebliche Lebensversicherung zu seinen Gunsten. Außerdem lief es zuletzt in der Ehe nicht sonderlich gut. Um nicht zu sagen, unterirdisch schlecht. Das Thema Scheidung stand auf der Tagesordnung. Er hatte nachweislich verschiedene Liebhaberinnen. Bilder mit den Gespielinnen sind im Netz reihenweise zu finden. Sailer konnte aber in Bezug auf den Zimmerbrand dann doch nichts nachgewiesen werden.«
Wieder ließ Plotek den Finger an seinen Mund schnellen. Wieder nichts.
»Dann, etwa Anfang 2000, ist er beim Bezahlfernsehen eingestiegen, bei so einem windigen Verkaufssender. Er hat alles verdealt, was man verdealen kann. Werkzeuge, Fithessgeräte, Wärmflaschen, Tee und Bierwärmer. Zuletzt Dildos aus Holz und Kaffeemaschinen. Bis der Sender pleiteging und Sailer arbeitslos wurde. Damals war er auch fürs Dschungelcamp vorgesehen. Musste aber wegen einer Erkrankung absagen. Jetzt ist er für die nächste Saison als Sportdirektor bei einem Zweitligaclub engagiert worden. Das scheint seine letzte Chance zu sein, im Profifußball noch mal einen Fuß auf den Boden zu bekommen.«
»Und was hat der mit der Stasi zu tun?«
»Na ja, als er sich in den Westen abgesetzt hat, blieben seine Eltern im Osten zurück. Was für Horch und Guck aus der Mielke-Brigade natürlich ein idealer Ansatzpunkt war.«
»Du meinst, sie haben ihn erpresst.«
»Nicht unwahrscheinlich. Um nicht zu sagen: mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit.«
»Vielleicht wurde ja auch deine Charlotte auf ihn angesetzt.«
»Kann sein«, sagte Vinzi. »Quasi Deal. Du darfst im Westen bleiben, dafür schnüffelst du für uns beim kapitalistischen Feind ein bisschen in den verschwitzten Sporthosen und Trikots herum.«
»Aber was kann ein Fußballer schon herausfinden?«
»Keine Ahnung. Aber im Sport war die untergegangene Deutsche Demokratische Republik ja sehr ehrgeizig.«
Plotek nahm die Plastikabdeckung der Lampe ab. Und Überraschung: kein Kameraobjektiv.
»Vielleicht woanders«, mutmaßte Vinzi.
»Vielleicht.«
Während sie sich umsahen und draußen auf dem Flur wieder Schritte zu hören waren, fragte Plotek, ohne dass sein Finger vorher an den Mund wanderte: »Hast du dich eigentlich selber auch mal eingegeben?«
»Nein, aber dich!«
»Was?«
Vinzi lachte. »War ein Scherz.« Dann fügte er ganz trocken hinzu: »Aber ich habe neben Sailer auch noch Dr. Hubertus C. Brucbmeier recherchiert.«
»Und?«
»Auch nicht uninteressant. 508 000 Treffer.«
»Wow!« Wieder aufrichtige Bewunderung.
»Er ist tatsächlich in Westdeutschland geboren und aufgewachsen. Und Überraschung: Er hat in den achtziger Jahren in West-Berlin studiert und hatte anschließend ein Engagement an der Schaubühne, als Regieassistent. Danach ging er als Regisseur in die Provinz. Heidelberg, Mannheim, Freiburg und so weiter. Nach der Wende wurde er Oberspielleiter und schließlich Intendant in Ostdeutschland. Nordhausen oder Bautzen. Dann in Kassel. Da wurde er nach drei Jahren entlassen, weil er sich von den Schreinern des Theaters während der Arbeitszeit eine Küche hat bauen lassen. Privat. Anschließend hat er wieder in der Provinz inszeniert. Querbeet, von Bremerhaven bis Memmingen. Seit drei Jahren ist er nun Intendant im Badischen. Da nicht unumstritten. Offenbar ist er eine ziemliche Niete als Regisseur, wenn man den Rezensionen glauben will. Aber als Intendant durchaus erfolgreich. Wobei man ihm nachsagt, dass er es sich in allen wichtigen Arschritzen gemütlich macht. Egal, welcher Couleur. Geriert sich gern als Linker. Wenn es dann aber drauf ankommt, ist er einzig und allein auf sein eigenes Wohl und Fortkommen aus.«
Na, ist beim Theater ja nichts Neues, dachte Plotek. Er verzog angewidert das
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