Aibon - Land der Druiden
allmählich dem Boden entgegensenkte und endlich Kontakt bekam. Bevor dies geschah, spürte ich allerdings einen Ruck, als hätte ich eine kaum sichtbare Tür durchtreten. Dann stand ich.
Fast wie im Märchen, denn ich hielt mich in der Mitte einer Lichtung auf. Grünes Licht schimmerte zwischen den Bäumen hindurch, darüber sah ich den Himmel, der ebenfalls einen grünlichen Farbton aufwies. Unter meinen Füßen bogen sich die saftigen Grashalme.
Ich atmete tief durch. Es war ein herrliches Gefühl, eine so frische Luft zu atmen. Sie war so ungewohnt rein, so dass ich sogar leichte Schwindelanfälle bekam und es eine Weile dauerte, bis ich mich akklimatisiert hatte.
Noch immer stand ich auf der Lichtung, und auch weiterhin hatte sich nichts verändert. Ich sah zwar den Wald, doch keine Tiere, die durch das Unterholz huschten. Auch Vögel hockten weder auf den Ästen und Zweigen noch in den Kronen der Bäume. Es blieb still. Ich fühlte zwar ein Frösteln auf meinem Rücken, empfand es trotzdem nicht als unangenehm und ging davon aus, dass ich meine beiden Begleiter suchen musste. Myxin und der Eiserne würden sicherlich das gleiche vorhaben. Vielleicht trafen wir sogar irgendwo zusammen. Auch dachte ich an Miriam di Carlo, die in dieser Welt lebte. Bei einem grauenhaften Fall hatte ich diese medial veranlagte Person kennen gelernt und später von ihr erfahren, dass in den Adern das Blut der alten Druiden floss. Deshalb war sie auch von der Erde weg nach Aibon geholt worden. Nur fühlte sie sich dort nicht mehr so glücklich wie in der ersten Zeit ihres Aufenthaltes. Das hatte sie mir vor kurzem erst bei unserer letzten Begegnung berichtet.
Miriam di Carlo kam nicht, um mich abzuholen. Dafür vernahm ich etwas anderes. Durch den Wald schwang wieder dieser helle, glockenartige Singsang, den ich schon vernommen hatte, als ich im Sessel saß und darauf wartete, dass mich die beiden Messer, aus Aibon kommend, töten würden.
Wie ein Denkmal stand ich auf der Lichtung und lauschte diesen Tönen. Es erinnerte mich an Feengesang. So jedenfalls hatte ich mir das Singen dieser Feen immer vorgestellt. Und wurden nicht in Aibon Märchen und Legenden wahr?
Bisher hatte ich den Beweis dafür nicht bekommen, aber es gab Hinweise. Vielleicht würde Aibon einen Teil seiner Geheimnisse lüften, so dass ich schließlich auch erfuhr, welche geheimnisvollen Mächte hier die Kräfte in der Waage hielten.
Der Gesang blieb auch. Er konzentrierte sich ebenfalls nicht auf eine Stelle, sondern war überall zu hören. Im Unterholz schienen die mir jetzt noch unbekannten Sänger und Sängerinnen zu stecken. Wenn ich die hell klingenden Stimmen richtig deutete, sangen dort Frauen. Und dann sah ich doch etwas. Man bezeichnete mich scherzeshalber oft als Geisterjäger. Dämonen sprachen dieses Wort auch hasserfüllt aus, aber mit Geistern hatte ich bisher wenig zu tun gehabt. Sie waren mir in meiner Laufbahn kaum begegnet, nun änderte sich dies. Es begann im Unterholz zwischen den Bäumen, mir direkt gegenüber. Dort bewegte sich ein Schatten. Hell und durchsichtig. Er erinnerte mich an einen Streifen aus Gaze, der allerdings nicht an den sperrigen Zweigen und hervorwachsenden Domen hing, sondern kurzerhand hindurchschwebte, sie hinter sich ließ und vor mir über die Lichtung glitt, ohne den Boden zu berühren.
Aibon, das Land, in dem Märchen Wirklichkeit wurden. In der Tat fühlte ich dies, denn die Gestalt, die da vor mir schwebte, wirkte wie aus einem Märchen. Fast so groß wie ich, doch mit einem weiblichen Körper versehen, der fast nur aus Umrissen bestand und auch keinen Fetzen Kleidung trug.
Ich sah den kleinen Busen, die langen Beine, die wohlgeformten Schenkel und Hüften, ein schmales Gesicht, das mir, dem Staunenden, zugewandt war. Mit offenem Mund glitt das Wesen an mir vorbei. Das helle, engelhafte Singen begleitete es auf seinen Weg. Ich hörte es noch, als die Gestalt längst verschwunden war.
Ich kniff die Augen zu, öffnete sie wieder, drückte meine Finger hinein und hatte das Gefühl, einen Traum zu erleben. Was ich da sah, konnte doch nur einer Täuschung gleichkommen, aber die Musik war keine gewesen.
Ich kniff mir in den Arm und stellte fest, dass ich nicht träumte. Diesmal war Aibon kein Traum oder Einbildung. Das Land war echt, und ich, John Sinclair, stand in seiner Mitte.
Auch die beiden Dolche waren real, die in diesem Land verschwunden waren, und auf die ich so sehr wartete. Ebenso wie auf meinen
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