Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aina - Herzorgasmus

Aina - Herzorgasmus

Titel: Aina - Herzorgasmus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Nell
Vom Netzwerk:
an den gestrigen Abend zu erinnern. Aber da war nichts. Nur Leere und Dunkelheit. Als sich die Stimme ihrer Freundin zwischen das Kindergeschrei schob, das aus dem Wohnzimmer kam, drehte sie sich um und sah ihr direkt ins Gesicht.
    »Alles in Ordnung?«, fragte sie besorgt. »Du bist schon den ganzen Tag so abwesend.«
    Aina nickte seufzend. »Ja, geht schon. Hab nur schlecht geschlafen.« Wie immer, dachte sie. Das war eigentlich nichts Neues. Sie machte sich nur langsam ernsthafte Sorgen um ihren Verstand. Ihre Erinnerungen reichten nur bis zu dem Moment, als sie gestern ihre Haustür aufgeschlossen und ihren Einkauf abgestellt hatte. Ab da war alles schwarz. Leer. Nicht vorhanden. Waren das die Nebenwirkungen ihrer Tabletten? Sollte sie sich vielleicht andere verschreiben lassen? So sehr sie sich auch bemühte, sie wusste nicht einmal mehr, wie und wann sie dieLebensmittel in den Kühlschrank geräumt hatte. Und wo hatte sie den Pulli hin getan, den sie heute noch einmal hatte anziehen wollen? Sie fasste sich an den Kopf und stöhnte.
    »Das wird ja langsam ein Dauerzustand«, erwiderte Christin und stellte die leere Tortenplatte ab.
    »Ja«, seufzte Aina. »Ich weiß.« Christin war ihre einzige Freundin. Und auch die Einzige, der sie manchmal von ihren schlaflosen Nächten oder ihren Albträumen erzählte. Natürlich erzählte sie ihr nicht alles. Nur die abgeschwächte Version der Horrorszenarien, die sich so oft in ihrem Kopf abspielten. Sie wusste nichts von den Morden, von denen sie manchmal träumte, von den Monstern, die sie im Traum immer wieder sah und von den Gefühlen, die sie heimsuchten und deren Ursprung bei ihrer Mutter lagen. Sie konnte niemandem erzählen, dass sie die Tochter einer Mörderin war. Wie würden sie sie ansehen? Sie. Die gute Seele dieser Stadt. Die Ritterin der Gerechtigkeit. Die, die alle Menschen vor Leid und Kummer beschützen wollte, war die Tochter einer Verrückten. Einer eiskalten Mörderin. Und in ihr floss dasselbe Blut. Dieselbe Kälte. Dieselben Gefühle. Niemand von ihnen wusste, welchen Kampf sie innerlich kämpfte und wie schwer es war, das zu unterdrücken, was in ihr war und aus ihr herausbrechen wollte. Niemand wusste, warum sie so ordentlich war, so aalglatt, so zugeknöpft und anständig. So gut. So herzensgut. Keiner ahnte, warum sie ihr Haar jeden Morgen mit dem Glätteisen bändigte und in eine unnatürliche, glatte Form zwang. Dass es für sie nur ein weiterer Versuch war, sich unter Kontrolle zu bringen. Es machte sie wahnsinnig, wenn sie über etwas nicht die Kontrolle hatte. Und ebenso wahnsinnig machte es sie, dass sie langsam die Kontrolle über ihre Erinnerungen verlor. Es machte sie rasend vor Wut, dass sie sich nicht an letzte Nacht erinnern konnte. Sie musste sich neue Tabletten besorgen. Am besten noch heute.
    »Danke, dass du trotzdem gekommen bist«, fuhr Christin nun fort. »Ich hätte nicht gewusst, wie ich die Bande ohne dich gebändigt hätte.«
    Aina seufzte. Ja, so war sie. Die ewig hilfsbereite Aina. Sie blickte wieder in die Kaffeetasse. Warum störte sie das auf einmal? Sie war regelrecht genervt von sich selbst, dass sie nie eine Bitte ausschlug, nie »nein« sagte und nie an sich selbst dachte, sondern immer nur darum bemüht war, es allen anderen recht zu machen. Wenn es nach ihr gegangen wäre, wäre sie den ganzen Sonntag lang im Bett geblieben. Denn genau danach war ihr zumute. Sich die Decke über den Kopf zu ziehen und einfach mal für niemanden als nur für sich selbst da zu sein. Sie fühlte sich schrecklich nach den letzten beiden Nächten und sie hatte ernsthaft das Gefühl langsam den Verstand zu verlieren. Sie brauchte eine Auszeit. Einfach mal ein bisschen Zeit für sich, um sich wieder zu sammeln. Aber stattdessen passte sie auf 30 Kinder auf, die sich im Wohnzimmer die Seele aus dem Leib plärrten. Warum nervte sie denn auch das plötzlich? Sie mochte doch Kinder! Und ihr Geschrei hatte ihr noch nie etwas ausgemacht. Doch offenbar war sie nicht die Einzige, die gerade die Nerven verlor. Christin knallte die Schere auf den Tisch, mit der sie gerade die Tüte mit den Luftballons aufgeschnitten hatte und polterte wutentbrannt ins Wohnzimmer.
    »Geht's auch ein bisschen leiser?«, schrie sie.
    Aina lief ihr hinterher und legte beruhigend eine Hand auf ihre Schulter, da schlug Christin sie ihr wütend weg. Aina sah sie erschrocken an und Christin machte ein ebenso erschrockenes Gesicht. »Entschuldige«, sagte Christin

Weitere Kostenlose Bücher