Aina - Herzorgasmus
heiße Rasiermesserklingen darin winden. Er versuchte weiterhin kontrolliert zu atmen und stützte sich mit den Händen auf dem kalten Boden ab. Dann spürte er einen hämmernden Schmerz in seinem Oberkiefer und biss die Zähne zusammen. Dabei bemerkte er, wie etwas von innen gegen seine Unterlippe drückte. Er hob eine Hand, berührte seine Zähne mit seinem Zeigefinger und erschrak. Seine Eckzähne waren weit hervorgetreten. »Verdammt«, hauchte er. »Warum ausgerechnet jetzt?« Was sollte er jetzt tun? Wie sollte er Aina beschützen, wenn er sich vor Schmerzen kaum rühren konnte? Er hatte nicht einmal seine Blutgier unter Kontrolle. Sie brach einfach unkontrolliert aus ihm heraus. Wann war diese Verwandlung endlich abgeschlossen?
Plötzlich hörte er Menschen reden. Sie gingen auf der anderen Seite der Straße spazieren. Er hörte jeden ihrer Schritte, jedes Rascheln ihrer Jacken, das Klimpern des Kleingeldes, das in ihren Taschen gegen ihre Hausschlüssel stieß, ihre Atemzüge, ihren Herzschlag, das Rauschen des Blutes, das durch ihre Adern floss… Sein Körper bäumte sich auf, doch er krallte sich im Boden fest und zwang sich hier hocken zu bleiben, bis sie fort waren. Sein Atem wurde schwerer. Seine Sinne schärfer. Ernahm viel zu viel wahr. Die Reize überfluteten seine Sinne. Der Kraftakt, mit dem er sich zur Ruhe zwang, war unmenschlich. Jeder seiner Muskeln war angespannt, seine Zähne gefletscht und sein Atem war plötzlich ein tiefes, kehliges Knurren. Schnell kramte er das Handy aus seiner Jackentasche und wählte per Kurzwahl Rece an. Doch plötzlich erklang seine Stimme in seinem Kopf. Laut. Sehr laut.
Nicht nötig. Bin unterwegs.
Er atmete erleichtert auf. Hatte er seine Gefühlsregungen mitbekommen? Es mussten nur Sekunden gewesen sein, da stand er plötzlich vor ihm. Sein Retter. Der Mann, dem er ewig Dank schuldete. Er kniete sich zu ihm hinunter und berührte seine Schulter. Es tat so gut. So gut. Jemand war bei ihm. Jemand, der ihm helfen konnte.
»Ich kann dir nicht helfen, Ramon«, sagte er jedoch.
Er hob den Kopf und sah ihn hilfesuchend an.
»Das ist dein Entwicklungsprozess. Du verwandelst dich.«
»Was… passiert mit mir?«
Rece dachte an Emilia und das Wesen, in das sie sich verwandelt hatte. »Alles, was du bist, wird stärker ausgeprägt. Deine Muskeln, deine Kraft, dein Kampfgeist. Und auch deine Empfindungen, deine Sinne. Es wird noch eine Weile dauern, bis du deine endgültige Gestalt angenommen hast. Doch dann werden deine Fähigkeiten die aller Wesen dieser Welt übersteigen. Du wirst zu einer Waffe. Zu einem Raubtier mit einer perfekten Tarnung.«
Ramon sah ihn mit großen Augen an. »So, wie du?«, flüsterte er ehrfürchtig.
Rece antwortete nicht. Er sah ihn nur nachdenklich an. »Du wirst erst später begreifen, was du nun bist. Aber jetzt musst du dich nähren. Dann tut es weniger weh.«
Ramon schluckte. Seine Kehle brannte. »Ich… kann nicht«,hauchte er. »Ich kann Menschen nicht verletzen.«
Jetzt packte Rece seine Jacke, zerrte ihn hoch und schleifte ihn zur Straße. Als das nächste Auto um die Ecke kam, schob er ihn darauf zu und sagte: »Du wolltest leben, Ramon. Wenn du dich nicht nährst, wirst du sterben.«
Ramon sah den Wagen an. Er fuhr langsam. So, wie es sich in Seitenstraßen gehörte. »Er hat bestimmt Familie«, sagte er leise, jedoch mehr zu sich selbst, als zu Rece.
Rece schnaufte genervt. »Jeder Mensch hat irgendeine Familie, Ramon!«, schnauzte er und bemerkte im selben Moment, wie Ramon zusammenzuckte. Er hatte ihn getroffen. Dort, wo es ihm am meisten schmerzte.
Ramon stand stocksteif da und ließ das Auto auf sich zukommen. Dann sagte er »Ich nicht« und kämpfte mit den Tränen.
Rece verspürte ein seltsames Gefühl in seiner Brust. War das Reue? Es machte ihn wütend. Doch genauso befahl es ihm, etwas zu tun oder zu sagen, das heilsam auf Ramon wirkte. Er war seine Schöpfung. Er musste auf ihn aufpassen. Das sagte ihm nicht nur sein Verstand, sondern ein Gefühl, das tief in ihm saß. Er lehnte sich zu ihm vor, berührte väterlich seine Schultern und sagte: »Dann musst du etwas finden, für das es sich zu überleben lohnt.«
Ramon sah sofort seine Familie vor sich. Sie hätten sich gewünscht, dass er überlebte. Und er sah Aina vor sich. Diese Frau, für die sich selbst der Teufel die Finger schmutzig machte. Für sie musste es sich auch lohnen zu überleben. Sie musste etwas Besonderes sein. Und er dachte an Rece. Den
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