Aina - Herzorgasmus
Mann, der ihn gerettet hatte und der ihn nicht zu seiner Marionette gemacht hatte, so wie es für ein Wesen wie ihn üblich gewesen wäre. Er hatte ihn frei gelassen. Ramon berührte Reces Hand an seiner Schulter und sagte: »Für dich.«
Rece zog vor Schreck über diese gefühlvolle Geste seine Hand weg und sah zu, wie Ramon mit einem gewaltigen Satz auf die Motorhaube des Wagens sprang, die Scheibe einschlug und den Mann herauszerrte. Noch während der Wagen rollte, versenkte er seine Zähne in den Hals des Mannes, als habe er nie etwas Anderes getan. Und während er gierig sein Blut trank, spürte Rece genau, wofür er es tat. Und für wen. Er tat es für Rece. Und für Aina. Sie waren seine neue Familie. Für sie wollte er überleben. Für sie da sein, für sie kämpfen, für sie leben und atmen. Denn er hatte sonst niemanden mehr, für den es sich zu kämpfen lohnte.
23
Jagd
Es war seltsam wieder zur Arbeit zu gehen. Sie fühlte sich fehl am Platz. Als gehöre sie nicht hierher. Ihr Schreibtisch kam ihr vor wie der Arbeitsplatz einer Fremden. Alles war geordnet und sauber. Sogar ihre Notizzettel klebten akkurat untereinander am Monitor und wiesen sie in ihrer schönsten Handschrift auf ihre Verpflichtungen hin. Von der Tischlampe baumelte ein kleiner Schutzengel und unter ihrer Schreibtischunterlage lugte der Zettel mit den Adressen hervor, die Andi ihr gegeben hatte. Das Bild, das neben ihrem Monitor stand, zeigte sie mit dem Bürgermeister, als sie eine Auszeichnung für ihre ehrenamtliche Arbeit für diese Stadt erhalten hatte. Sie erkannte sich gar nicht wieder. Ihr war, als betrachte sie eine fremde Frau auf diesem Bild. Ihr Haar lag ihr glatt wie flüssiges Gold auf den Schultern und ihr Lächeln war engelsgleich. Ebenso, wie ihre helle Spitzenbluse, die bis oben hin zugeknöpft war und sie brav wie ein Schulmädchen erscheinen ließ. Aina sah an sich hinunter. Sie trug die Stiefel, die sie sich gestern gekauft hatte und die ihr bis zu den Knien reichten und das dunkelrote Oberteil mit dem V-Ausschnitt über ihrer dunklen Jeans. Ihre eigenen Klamotten hatten ihr plötzlich nicht mehr gefallen. Sie hatte jeden Morgenvor ihrem Schrank gestanden und sich gefragt, warum ihr nie aufgefallen war, wie langweilig sie herumlief. Deshalb war sie gestern shoppen gegangen und hatte sich Klamotten zugelegt, die etwas interessanter wirkten und mehr von ihrem Körper zeigten, der zweifellos sehr schön war. Sie fragte sich nur, warum sich ihr Stil plötzlich so gewandelt hatte.
Als sich Silkes Grinsen vor ihr Gesicht schob, wich sie zurück. »Was ist denn mit dir passiert?«, fragte sie und betrachtete Aina von oben bis unten. »Neue Klamotten, neue Frisur… Bist du verliebt?«
Aina spürte regelrecht, wie sich ihre Pupillen vor Schreck erweiterten. Ihr Herz schlug wild los, doch ihr Verstand bremste es mit Widerstand aus. »Quatsch!«, sagte sie und berührte ihr Haar, das sie schon seit zwei Tagen nicht mehr mit dem Glätteisen in Form gebracht hatte. Das war ihr einfach zu viel Aufwand und mit den großen Locken gefiel sie sich auch auf einmal viel besser.
Silke guckte gespielt skeptisch und grinste. »Mir erzählst du nichts. Es ist der Typ, der das Schloss gekauft hat, oder?«
Wieder polterte ihr Herz los.
»Hast du ihn interviewt?«
Als wäre dies sein Stichwort gewesen, tauchte plötzlich ihr Chef auf, kam schnellen Schrittes auf Aina zu und musterte sie dabei entsetzt. »Ist der Artikel fertig?«, fragte er.
Aina sah sich um. Alle Blicke der Redaktion schienen auf sie gerichtet zu sein. »Er«, begann sie und sah ihrem Chef wieder fest in die Augen, »hat sich nicht interviewen lassen.«
Es war so still hier. Alle schienen die Luft anzuhalten. Selbst ihr Chef. Er blickte sie wie eine Salzsäule an. Stumm und erstarrt. Als er dann Luft holte, durchschnitt er mit dem leisen Pfeifen seiner Raucherlunge die Stille. »Das ist alles?« Er hob die Hände, um seine Fassungslosigkeit zu demonstrieren.
Aina nickte unberührt. »Ja.«
»Er hat sich nicht interviewen lassen?«, wiederholte er ihre Worte cholerisch und lief dabei rot an vor Wut. »Willst du mich auf den Arm nehmen? Was hast du an der Uni gelernt, verdammt? Selbst Benny hätte ein Interview gekriegt! Ich hätte ihn schicken sollen!«
Wieso berührten sie seine Worte nicht? Sie sah ihn völlig gelassen an.
»Tze«, machte er jetzt und warf ihr noch einen abfälligen Blick zu, bevor er sich umdrehte und zurück zu seinem Büro stampfte.
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