Airborn 01 - Wolkenpanther
Gesellschafterin räusperte sich, strich sich übers Haar und schnappte mit kleinen, hastigen Atemzügen nach Luft. Hoffentlich würde Miss de Vries niemals mich mit einem solchen Blick traktieren.
Ich platzte zwar fast vor Neugier, doch nun, da Miss Simpkins dabei war, konnten wir unsere Unterhaltung nicht fortsetzen. Also verabschiedete ich mich von den beiden.
»Ich danke Ihnen recht herzlich«, sagte Kate. »Ich hoffe, wir finden Gelegenheit, uns bald mal wieder zu unterhalten.«
Ich lächelte sie an und begab mich zu den Mannschaftsquartieren. Als ich mich meiner Kabine näherte, spürte ich eine ungewohnte Müdigkeit wie einen kalten Nieselregen über mich kommen. Das lag vermutlich nur an den schlechten Nachrichten von vorhin. Normalerweise hätte ich einen Abstecher auf die Kommandobrücke gemacht und gefragt, ob ich ein wenig dabeisitzen und mir Notizen machen dürfte. Doch im Moment konnte ich mich dazu nicht aufraffen. Baz saß auf der unteren Koje und zog pfeifend Schuhe und Socken aus. Er hatte nun ebenfalls dienstfrei.
»Tag«, sagte er. »Du siehst ganz schön erledigt aus, Kumpel.«
»Ich erzähl's dir später.« Ich kletterte in die obere Koje und schlief sofort ein, als mein Kopf das Kissen berührte.
Der Wecker riss mich mit seinem Klingeln aus dem Schlaf. Es war sieben Uhr abends. Baz war schon aufgestanden und bügelte sein Hemd. Wir hatten beide von acht Uhr bis Mitternacht Dienst im Salon, wo wir Tee, Kaffee oder Kognak servierten oder was sich die Passagiere der Ersten Klasse sonst noch wünschten.
Einen kurzen Moment lang blieb ich einfach nur liegen. Ich liebte unsere Kabine, auch wenn sie sehr klein war. Auf meiner Koje lag die Daunendecke, die meine Mutter mir genäht hatte, und an der Wand neben meinem Kissen klebten ein paar Fotos von zu Hause: eines von meinem Vater in seiner Segelmacher-Uniform und eines von meiner Mutter, Isabel und Sylvia auf dem Balkon ihrer kleinen Wohnung in Löwentorstadt. Für mich war es ihre Wohnung, nicht meine, weil ich nun so viel in der Luft war. Als mein Vater vor drei Jahren starb, hatten wir dringend Geld gebraucht. Die Zeiten waren hart gewesen damals, und ich konnte von Glück sagen, dass man mir auf der Aurora eine Stelle als Kabinensteward angeboten hatte. Kapitän Walken hatte das in die Wege geleitet.
Doch nach dem, was meinem Vater zugestoßen war, hatte meine Mutter nicht gewollt, dass ich die Stelle annahm. So aufgebracht hatte ich sie noch nie erlebt. Ich hatte mich zwar bemüht zu verbergen, wie viel mir an dieser Arbeit lag, aber sie hatte mich dennoch durchschaut. Schließlich hatte ich mich schon immer danach gesehnt zu fliegen. Sie wusste jedoch nicht, dass es auch eine Flucht vor ihr war. Ich wollte meinen Vater spüren, und das konnte ich nicht, solange ich in der kleinen Wohnung mit der niedrigen Decke und dem trüben Ausblick auf die verregneten Straßen der Stadt eingesperrt war. Mein Vater hatte kaum Zeit darin verbracht. Dort konnte ich ihm nicht nahe sein.
Am Kopfende meiner Koje war ein kleines Regal, in dem ich meine Bibliothek aufbewahrte. Die Besatzungsmitglieder durften wegen des zusätzlichen Ballasts nur wenige Bücher an Bord bringen, deshalb hatte ich nur die acht Bücher bei mir, die auch mein Vater mit auf der Aurora gehabt hatte. Ich liebte sie über alles, mit ihren Ledereinbänden und den verzierten Titelblättern; sie waren wie Freunde, die auf meine Rückkehr warteten. Selbst wenn ich zu müde war zum Lesen, nahm ich sie manchmal einfach nur heraus und hielt sie in den Händen.
Von meiner Koje aus konnte ich aus dem Bullauge schauen. Ich sah Himmel und Wolken, und wenn ich meine Nase an das Glas drückte, konnte ich achtern eine der Motorengondeln mit dem wirbelnden Propeller sehen und darunter das Wasser des Pazifikus. Ich kniff die Augen zusammen und blinzelte in den klaren Himmel hinaus.
Irgendwas flog dort draußen herum.
Nein, es war nur eine Täuschung gewesen, eine kleine Schattenfalte an der Unterseite einer Wolke. Doch einen Moment lang hatte es so ausgesehen, als flöge dort etwas mit mächtigen Flügeln, die zu einem kraftvollen Flügelschlag ausholten. Vielleicht hatte Kates Großvater so etwas gesehen. Wolkentrugbilder. Ich hätte gern mehr über ihn erfahren und überlegte, wie ich es anstellen könnte, noch einmal unter vier Augen mit Kate zu reden.
»Soll ich dein Hemd auch bügeln?«, fragte Baz, als ich mich aus meiner Koje schwang. Ich bedankte mich und reichte ihm mein weißes Hemd.
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