Airborn 01 - Wolkenpanther
Offiziere aßen ebenso gut wie die Passagiere der Ersten Klasse – denn die Köche sollten nicht mehr Gerichte als nötig zubereiten.
Baz und ich nahmen Platz, nachdem wir auf einem Anschlag an der Wand das Menü des heutigen Abends gelesen hatten. Es gab Kalbskoteletts und Kartoffelbrei aus Yukon-Kartoffeln, der so cremig war, dass nicht einmal die Zungenspitze ein Klümpchen darin finden würde, dazu in Zitronenbutter glasierte Spargelspitzen. Krüge mit frischer Milch und Wasser standen bereit, und auch Bier, für jene, deren Schicht beendet war. Daneben warteten Kännchen mit Soße für den Kartoffelbrei, Schüsseln mit eiskalten Butterkugeln, auf denen der Tau glänzte, und Körbe mit frisch gebackenem Brot.
Ich trat zur Essensausgabe, um die Teller für Baz und mich zu holen. Wie immer war ich fasziniert von dem geschäftigen Treiben und dem Anblick von Chefkoch Vlad Herzog, der zufällig an diesem Abend Dienst in der Kombüse versah.
»Nimm dich vor dem in Acht«, hatte Baz mich vor drei Jahren an meinem ersten Tag an Bord gewarnt. »Chefkoch Vlad ist ein ziemlich explosiver Typ.«
Die Worte hatten sich mir eingeprägt; ich musste dabei immer an Nitroglyzerin denken. Während meiner Jahre auf der Aurora hatte ich viel Zeit in der Kombüse verbracht und festgestellt, dass Vlad wirklich Furcht einflößend war. Er hatte einen seltsamen transsylvanischen Akzent, was oft zu Schwierigkeiten mit Mr Lisbon führte, dem Chefsteward, der mit völlig anderem, aber ebenso starken Akzent sprach. Beide behaupteten ständig, sie würden sich nicht verstehen. Das war ein Riesenproblem, da sie fast stündlich miteinander kommunizieren mussten, und führte öfter zu interessanten Missverständnissen während der Mahlzeiten.
Man konnte nicht sagen, dass Vlad verrückt war, zumindest nicht auf den ersten Blick. Weder brüllte er herum, noch klapperte er mit Töpfen und Pfannen oder raufte sich die Haare. Jedenfalls nicht sofort. Am Anfang eines Streits war er immer ganz ruhig, und je wütender er wurde, desto ruhiger und leiser wurde er, bis er irgendwann so langsam sprach, als würde er jeden Moment zwischen den Wörtern einschlafen. So hatte es etwa vor wenigen Wochen einen Disput wegen des Abendmenüs gegeben.
»Sie wollen, dass ich was?«, hatte Vlad Mr Lisbon höflich zugeflüstert. »Sie wollen, dass ich Ente koche? Ente? Ente?« Er murmelte das Wort so leise, als wisse er nicht, was es bedeutete. Mr Lisbon begann zu erklären.
»Nein, ich weiß, was Ente ist, vielen herzlichen Dank«, sagte Vlad und bedachte seinen Gegenüber mit einem Furcht erregenden Lächeln. »Ich bin gut bekannt mit Ente. Kleiner Wasservogel, platsch, platsch, ja? Nein, das ist nicht mein Problem. Problem, Mr Lisbon, ist Folgendes. Problem ist, ENTE STEHT HEUTE ABEND NICHT AUF MENÜ!«
Sämtliche Küchenhilfen zogen sich unauffällig einige Schritte zurück, während sie gleichzeitig so taten, als sei nichts.
Mr Lisbon bestand jedoch darauf, dass an diesem Abend Ente serviert werden müsse.
»Oh«, sagte Vlad und warf die Hände in die Luft. »Nun, lassen Sie mich NOCH MAL PRÜFEN!« Er zog eine große Schau ab und blätterte sämtliche Papiere auf der Theke durch. »Nein, Ente steht nicht auf Menü HEUTE. Das ist MORGEN. Sie haben was? Sie haben Menü GEÄNDERT? Ohne mich zu informieren? Verstehe. Nun verstehe ich, dass Sie das Menü ändern, ohne mich zu informieren. Ja, ich verstehe. Vielen herzlichen Dank. Gut.«
Dann hatte Vlad nach dem Messerblock mit den großen Küchenmessern gegriffen und damit begonnen, sie drohend der Größe nach auf der Theke auszulegen.
»Ente«, murmelte er vor sich hin. »Ente. Aber heute ist Dienstag. Und die Ente war für Mittwoch.«
Jeder wusste, dass man ihn besser in Ruhe ließ, wenn er seine Messer zückte. Er würde nun mehrere Minuten damit verbringen, sie zu begutachten und ihre Schärfe zu prüfen. Dies schien ihn zu beruhigen. Dann hatte er die Ente aus dem Gefrierschrank geholt und angefangen zu kochen.
Das Essen war einfach wunderbar gewesen.
So verrückt Chefkoch Vlad auch sein mochte, es würde dennoch ein trauriger Tag sein, wenn er je das Schiff verlassen sollte. Oder wenn man ihn tretend und schreiend in einer Zwangsjacke von Bord schleppen würde, wie Baz vorhersagte. Heute Abend machte er jedoch einen recht ausgeglichenen Eindruck und lächelte mir sogar zu, als er die beiden Teller auf die Theke stellte. Allein der köstliche Geruch reichte aus, um meinen Hunger zu
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