Airborn 01 - Wolkenpanther
wissenschaftlicher Sorgfalt angefertigt, schraffiert und mit einer Längenskala versehen. Kates Großvater war ohne Zweifel ein gebildeter Mann gewesen. Er schien sich mit allem auszukennen. Unter den Zeichnungen standen alle möglichen lateinischen Wörter.
5. September
9:15 Uhr
Spiele immer noch mit den Luftströmungen über der Insel, damit ich ihnen zuschauen kann. Sie zeigen eine große Neugier für meinen Ballon und kreisen hoch über ihm, wagen sich jedoch nur selten näher an die Gondel heran. Schwierig für mich, ihre Körper oder Gesichter deutlich zu erkennen. Denn offenbar können sie auch die Farbe ihres Fells ändern und je nach Hintergrund tief dunkel werden. Sie scheinen vor mir auf der Hut zu sein; beim Anblick meines Fernglases stoben sie sofort auseinander. Ich frage mich, warum.
Erschrocken überlegte ich, ob diese Tiere vielleicht seinen Ballon beschädigt hatten. Hatten sie die Hülle mit ihren scharfen Klauen traktiert und so viele kleine Löcher hineingerissen, dass er schließlich sank?
17:47 Uhr
Sie landen nie. Während all der Zeit, in der ich sie beobachtet habe, sind sie weder auf Bäumen noch auf dem Wasser gelandet. Sie ernähren sich im Tiefflug über der Insel und jagen alle Arten von Vögeln. Sie sind unersättliche Jäger. Sie essen auch Fisch und stürzen sich dabei im Tiefflug zum Meer und tauchen ihre Hinterpfoten ins Wasser. Dann kommen sie mit Fischen oder kleinen Tintenfischen in den Klauen wieder nach oben. Sie tragen sie hoch in die Luft, werfen sie zu ihren Mäulern hinauf und verschlingen sie in einem Stück. Manche lassen ihre Beute auch fallen und sausen im Sturzflug nach unten und schnappen danach.
6. September
11:17 Uhr
Ich habe sechsundzwanzig dieser Geschöpfe gezählt.
Ich wünschte, Kate könnte sehen, wie sie durch die Luft tollen und wirbeln. Ich habe noch nie ein Tier erlebt, das sich in seinem Element so zu Hause fühlt. Wie Delfine oder Tümmler oder Wale lieben sie das Spiel. Warum sind sie wohl noch nie entdeckt worden? Ihre natürliche Tarnung ist zwar hervorragend, aber angesichts der vielen Luftschiffe heutzutage hätte doch sicher jemand diese Wesen sehen müssen? Vielleicht gibt es nur noch sehr wenige von ihnen. Sind sie möglicherweise die Einzigen ihrer Art?
Auf der nächsten Seite befand sich eine weitere Zeichnung, diesmal von einem großen Schwarm dieser Tiere oder einer Herde – ich wusste nicht genau, wie ich es nennen sollte –, die über der Küste der Insel kreiste.
7. September
13:40 Uhr
Sie gebären in der Luft.
Mehrere der Tiere – Weibchen, wie mir nun klar geworden ist – stiegen sehr weit nach oben, auf etwa siebentausend Fuß. Ich schaltete den Brenner ein, damit ich mit ihnen steigen und sie im Auge behalten konnte. Das Weibchen legte den Kopf in den Wind, streckte die Flügel aus und ließ sich treiben. Auf einmal fiel etwas zwischen seinen Hinterbeinen nach unten, so schnell, dass ich zuerst nur ein kleines, dunkles Bündel fallen sah. Zuerst hielt ich es für Kot. Doch dann erkannte ich, dass es dafür zu groß war. Zudem war das Verhalten des Weibchens höchst absonderlich. Es ging sofort i n einen Sturzflug über und flog neben dem herabfallenden Ding her.
Das Ding trudelte durch die Luft und schien größer zu werden, als es an mir vorbeikam. Es öffnete die Flügel. Es war kaum größer als ein Kätzchen, doch seine Flügel, die sich allmählich entfalteten, waren viele Male so breit wie sein Körper. Sie breiteten sich ganz aus und stellten sich instinktiv so, dass der Fall des Neugeborenen drastisch gebremst wurde. Nach ein oder zwei Sekunden sah ich, wie die Flügel zögernd schlugen, noch einmal und noch einmal, jedes Mal kräftiger.
Es flog.
Vom Augenblick seiner Geburt an wusste es, wie man fliegt. Wie war das möglich? Unglaublich! Doch weiß nicht auch der neugeborene Wal, der im Wasser zur Welt kommt, von der ersten Sekunde seines Lebens, wie man schwimmt? Warum sollte es also bei einer solchen Kreatur anders sein? Nur war eben die Luft und nicht das Wasser sein Element.
Die Mutter flog neben ihrem Jungen, als würde sie ihm Ratschläge erteilen und seine Fortschritte beobachten.
Ich beobachtete, wie noch ein paar andere Weibchen den Aufstieg zur Geburtshöhe antraten und ihre Neugeborenen in die Luft entließen.
Die sechste Geburt verlief anders.
Das Neugeborene fiel, doch nur der linke Flügel entfaltete sich zu seiner vollen Länge. Der rechte schien festzustecken oder irgendwie nicht
Weitere Kostenlose Bücher