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Airborn 01 - Wolkenpanther

Airborn 01 - Wolkenpanther

Titel: Airborn 01 - Wolkenpanther Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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verharrte ich in dem verlassenen Flur und betrachtete das Logbuch. Es hatte in dem Ballon gelegen, als ich vor über einem Jahr in seine Gondel gesprungen war. Vielleicht hatte es sich sogar unter den Sachen befunden, die am Boden verstreut gewesen waren. Vielleicht hatte ich es sogar gesehen, während ich mich über Mr Benjamin Molloy gebeugt hatte. Es war ein seltsames Gefühl, den windgegerbten und vom Regen aufgequollenen Einband des Buchs nun in meinen Händen zu halten. Ich brachte das Tablett in die Kombüse, dann ging ich zurück in meine Kabine und begann zu lesen.

5. Kapitel
Das Logbuch der Sturmvogel
      

    Der Rücken des Tagebuchs war rissig und lose; das Buch wurde nur noch von einem Haarband zusammengehalten. Motten tanzten in meinem Magen, als ich in meine Koje kletterte und mich ausstreckte. Baz hatte Dienst im Krähennest bis vier. Ich schaltete die Leselampe an, streifte das Haarband ab und schlug das Logbuch vorsichtig auf. Die Seiten waren alle verkrustet, als wäre das Buch erst vom Regen durchnässt und anschließend in der Sonne gebraten worden.
    Schmale, ordentliche Tintenlinien bedeckten die Seiten: Datum, Position, Windgeschwindigkeit, Flughöhe und sonstige Beobachtungen. Es gab eine kleine Einleitung, die erzählte, wie er, Benjamin Molloy, plante, mit seinem Heißluftballon eine vollständige Weltumrundung von West nach Ost zu versuchen. Ich überflog diese ersten Seiten rasch, nicht, weil sie langweilig waren, sondern weil mir der Anblick von Kates Lesezeichen den Magen umdrehte und ich mich ständig fragte, was dort wohl geschrieben stand. Es war schwer, sich auf die Dinge davor zu konzentrieren.
    Kates Großvater hatte seine Weltumrundung in Kapstadt begonnen, um dort den Strahlstrom zu erreichen, und war dann rasch Richtung Osten über den Indischen Ozean geflogen. Über Australien verließ ihn jedoch das Glück und er wurde in nordwestlicher Richtung von seinem Kurs abgetrieben.
    Sein Logbuch ließ jedoch keine Anzeichen von Panik erkennen. Seine Tage waren damit ausgefüllt, den Ballon in flugfähigem Zustand zu halten, Proviant und Ausrüstung zu verwalten, das Wetter zu beobachten und seine Position zu bestimmen. Er beschrieb die Länder und Landschaften, über die er dahinschwebte. An einigen Tagen hatte er nur Koordinaten und Wetterbedingungen notiert, an anderen gab es dagegen viel zu berichten: Vögel, sich änderndes Licht, die Landschaften, die unter ihm dahinglitten, die Tiere unter der Wasseroberfläche. Er schien sich für alles zu interessieren.
    Ich merkte mir die Koordinaten und stellte fest, dass er auf einer Flugbahn dahintrieb, die sich ganz in der Nähe der Strecke befand, auf der die Aurora gewöhnlich von Sydney nach Löwentorstadt flog. Mit jedem Tag schwenkte sein Kurs weiter in Richtung Osten, während er versuchte, in verschiedenen Höhen günstige Winde zu erwischen. Nicht zum ersten Mal überkam mich Respekt vor ihm. Ich liebte das Fliegen, fand den Gedanken jedoch beängstigend, völlig der Gnade des Windes ausgeliefert zu sein, ohne eine andere Möglichkeit des Antriebs oder der Steuerung. Offensichtlich war Kates Großvater ein ganzes Stück mutiger gewesen als ich.
    Ich vergaß beim Lesen völlig die Zeit, so sehr nahm mich das Tagebuch gefangen. Es gab nicht viele Hinweise auf Molloys Persönlichkeit, doch gewisse Fassetten seines Wesens schimmerten durch, selbst in seinem Logbuch. Er beobachtete gerne das heranziehende Wetter. Er hasste Bohnen in Tomatensoße aus der Dose, aß sie aber trotzdem, da sie nahrhaft und leicht zu transportieren waren. Er mochte Shakespeare. Er liebte seine Enkelin und erwähnte sie häufig in seinem Buch. »Darf nicht vergessen, Kate davon zu erzählen«, hatte er geschrieben. Oder: »Werde Kate eine Postkarte schicken, wenn ich in Kapstadt gelandet bin.«
    Erschrocken bemerkte ich, dass Kates Lesezeichen nur noch eine Seite entfernt war.
    Ich legte das Buch beiseite, kletterte aus meiner Koje und ging den Gang entlang zur Toilette. Am Waschbecken spritzte ich mir kaltes Wasser ins Gesicht. Dabei war ich eigentlich schon hellwach. Es schien mir jedoch nur angemessen zu sein, wenn man bis in die frühen Morgenstunden auf war und das Logbuch der verhängnisvollen Reise eines Fremden studierte.
    Zurück in der Kabine, schlüpfte ich wieder zwischen die warmen Falten meiner Decke und warf durch das Bullauge einen Blick auf die Sterne. Dann holte ich tief Luft, nahm das Tagebuch und blätterte um.

    2. September
    15:23

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