Airborn 02 - Wolkenpiraten
aber sie sah mich nicht an. Sie schien sich überhaupt nicht dafür zu interessieren, dass ich das Rätsel um das Verschwinden der Hyperion gelöst hatte.
»Ich bin das Gekritzel von denen leid«, sagte Hal. »Die Tagebücher sind wertlos, es sei denn, sie verraten uns, wo der Zaster ist.«
Nadira nickte zustimmend. Ihren dunklen Augen konnte man die Enttäuschung ansehen.
»Sie könnten uns aber schon ein paar Hinweise geben«, meinte Dorje.
Nadira schnaufte ungeduldig. »Steht da sonst noch was drin?«, fragte sie mich und deutete mit dem Kinn auf Grunels Tagebuch. »Vielleicht eine Karte mit einem dicken X drauf?«
Ich blätterte zurück. Und da, über zwei Seiten hinweg, war einer der schönsten Entwürfe, die ich je gesehen hatte. Eine ganze Stadt hoch am Himmel, getragen von riesigen, wolkenartigen Hydriumsäcken. Die Gebäude waren durch schwebende, bewegliche Brücken mit den Gehwegen verbunden. Von üppigen Terrassengärten hingen blühende Ranken herab auf die Dächer gläserner Häuser. Menschen standen auf den großen Balkonen und genossen den Blick auf den sich ständig verändernden Himmel und den Teil der Erde, über den sie gerade trieben. Es gab eine Dockstation, an der mehrere Luftschiffe festgemacht hatten. Ornithopter flatterten herum und transportierten Passagiere zu einer der vielen großen Landungsbrücken.
Die anderen mussten mein erstauntes Gesicht bemerkt haben, den sie kamen schnell zu mir, um selbst einen Blick in das Buch zu werfen.
»Wunderschön«, sagte Kate, die sich neben mich gestellt hatte.
Und plötzlich wiesen wir beide uns auf verschiedene Dinge auf dem Bild hin. Es war nicht so, dass wir uns regelrecht miteinander unterhalten oder diskutiert hätten, doch so nah wie jetzt war ich Kate in den letzten Tagen nicht mehr gewesen. Unser beiderseitiges Staunen verband uns, und ich wollte nicht, dass es aufhörte.
Wie hypnotisiert blätterte ich weiter. Es gab keinen Text, nur eine Skizze nach der anderen von dieser wunderbaren Luftstadt aus jeder möglichen Perspektive und Entfernung. Dann stutzte ich.
»Sind das Vögel?«, fragte ich.
»Nein, Menschen.«
Kate hatte Recht. Was ich für um die Turmspitzen der Stadt flatternde Vögel gehalten hatte, waren Frauen und Männer mit künstlichen Flügeln. Mir kam es vor, als wären diese Bilder meiner eigenen Phantasie entsprungen, denn ich konnte mir keine vollkommenere Lebensweise vorstellen. Ich war völlig hingerissen.
»Der hatte ja wirklich eine blühende Vorstellungskraft«, sagte Nadira. Sie schien aber keineswegs begeistert zu sein, sondern klang eher wütend. Es war nicht das, was sie sich erhofft hatte.
»Glaubst du, er hatte vor, alle diese Dinge zu bauen?«, fragte Kate.
»Ich weiß es nicht.« Plötzlich wurde ich wehmütig, denn ich sah keine Möglichkeit, wie eine solche Stadt jemals gebaut werden sollte. »Es wäre unglaublich teuer. Ständig müsste man Treibstoff dorthin transportieren.«
»Von Trinkwasser und Lebensmitteln ganz zu schweigen«, sagte Hal. »Und was wäre bei einem Leck? Wo bekämen sie ihr Hydrium her? Wenn da mal ein Sturm rüberfegt, bleibt nur noch ein großer Haufen verbogenes Alumiron. Diese Stadt ist nichts als ein Wunschtraum.«
Aber die Undurchführbarkeit machte die Vorstellung nicht weniger schön, ganz im Gegenteil, denn sie war aus den feinsten Fäden der besten Träume gesponnen.
»Jetzt leg mal die netten Bildchen weg«, forderte Hal. »Wir müssen für morgen einen Plan machen.«
Widerstrebend klappte ich das Tagebuch zu.
»Es kommt anderes Wetter auf, deshalb können wir unsere Zeit nicht weiter verschwenden. Wir teilen uns auf. Cruse, du mit Nadira. Ich mit Kate. Dorje kommt alleine klar. So schaffen wir mehr.«
Ich blickte Kate an und hätte gerne gewusst, was sie wegen Nadira und mir empfand.
»Das ist ein sehr vernünftiger Plan«, sagte ich und nickte.
Hal und ich musterten uns kurz, und ich meinte, eine gewisse Belustigung in seinen Augen zu erkennen. War das Ganze für ihn nur ein wunderbares Spiel? Wenn ja, dann spielte er nicht fair.
»Habe ich genügend Zeit, Grunels Sammlung zu katalogisieren?«, fragte Kate.
»Wenn wir das Gold gefunden haben, bleibt vielleicht etwas mehr Zeit. Aber ich will dir nicht zu große Hoffnungen machen. Je länger wir hier oben bleiben, desto schwächer werden wir. Wir verlieren Muskelmasse, Ausdauer und die Fähigkeit, schnell zu denken und uns schnell zu bewegen. Der Körper trocknet aus. Nach achtundvierzig Stunden bist du
Weitere Kostenlose Bücher