Airborn 02 - Wolkenpiraten
in den Schlaf gleiten.
Vor dem Frühstück am nächsten Morgen bat Slater uns in den Salon. Außer Dalkey und Jangbu, die am Steuer standen, waren alle erschienen. In einer Ecke des Raums hatten Dorje und Kami gerade einen kleinen Tempel aus Steinen errichtet. Farbenprächtige Gebetsfahnen, einige mit dem Bild eines geflügelten Pferdes, waren darüber aufgehängt.
»Das ist ein Chorten«, erklärte uns Dorje. »Ein Tempel zu Ehren der Götter. Die Höhe des Himmels, zu der wir streben, ist wie der Mount Everest. Da gibt es Gottheiten, die den Wind in diesen Höhen reiten, und es wäre töricht, sie zu missachten. Bevor wir in diese Höhen steigen, müssen wir ihre Erlaubnis erbitten, in den Himmel einzudringen.«
»Sherpablödsinn«, hörte ich Miss Simpkins Kate zuflüstern.
Kate runzelte finster die Stirn und trat einen Schritt von ihrer Anstandsdame weg.
Dorje zündete Weihrauch und einige Zweige Wacholder an. Angenehmer Duft erfüllte den Salon.
»Das ist für Glück und Reinheit«, sagte Dorje. »Eigentlich müsste die Puja von einem heiligen Mann, einem Lama, zelebriert werden. Solange keiner da ist, gebe ich mein Bestes.« Er setzte sich vor den Chorten und schlug ein handgebundenes Buch mit dicken Seiten auf. Ich folgte dem Beispiel der anderen Sherpas und ließ mich auf dem Boden nieder.
Kate setzte sich ebenfalls auf den Boden, doch Miss Simpkins suchte sich, wie ich bemerkte, einen Sessel im Hintergrund. Nadira saß links von mir. Sie musste gerade geduscht haben, denn ihre Haare waren noch nass und rochen aufregend nach Sandelholz. Sie trug einen langen bunten Rock und eine einfache, weiße Bluse. Sie saß sehr dicht bei mir, und als sie die Beine übereinander schlug, berührte ihr Knie meines und wurde auch nicht weggezogen. Ich überlegte, etwas wegzurutschen, aber das hätte sie vielleicht als Unfreundlichkeit empfunden.
»Guten Morgen«, sagte sie leise.
Dorje las den alten tibetischen Text und schlug dabei rhythmisch auf eine kleine Trommel. Slater hob eine große Schale mit Reis auf, nahm mit den Fingerspitzen ein paar Körner heraus und warf sie in die Luft. Dann reichte er die Schale Mrs Ram, die dasselbe tat. Als die Schale zu mir kam, sagte Kami leise: »Ein Opfer an die Götter für gutes Gelingen unserer Reise.«
Ich gab die Schale an Kate weiter, die sie voller Eifer nahm.
»Zu viel«, sagte ich tonlos nur mit den Lippen, als sie zu meinem Erschrecken eine ganze Hand voll Reis nahm. Zu spät. Die vielen Körner segelten durch die Luft und prasselten wie ein Platzregen auf uns nieder. Dorje hörte nicht auf zu lesen, doch Slater hob eine Augenbraue.
»Entschuldigung«, flüsterte Kate.
Ang Jeta kicherte und nickte Kate ermutigend zu. Auch wenn die Sherpas an der Feier aufmerksam teilnahmen, wirkten sie doch völlig ungezwungen. Mrs Rams Gesicht zeigte bei geschlossenen Augen tiefste Gelassenheit. Auch Nadira schien es zu gefallen, und mehrere Male, wenn ich zu ihr hinsah, schienen sich ihre Lippen schweigend zusammen mit Dorjes Worten zu bewegen. Sandelholz, Lorbeer, Weihrauch. Das Schlagen der Trommel. Jemand schlug kleine Zimbeln an. Ich hätte mich in den Vorgebirgen des Mount Everest befinden können.
Die tibetischen Worte verstand ich nicht, aber ich mochte ihren Klang und den Ernst, mit dem Dorje die Zeremonie beging. Alle seine Bewegungen waren langsam und genau, und alleine ihm zuzusehen machte mich ruhig, als würde eine heitere Gottheit über uns wachen und uns eine sichere Reise in die oberen Bereiche des Himmels zusichern.
Als die Feierlichkeit beendet war, stand Dorje auf und blickte Slater an. »Jetzt können wir mit dem Anstieg beginnen.«
»Ich hoffe doch nur, dass irgendjemand diesen Reis auffegt«, sagte Miss Simpkins und blickte missbilligend auf die am Boden verstreuten Körner.
Beim Frühstück mit so vielen Leuten am Tisch herrschte eine ausgelassene Stimmung. Es war eine Art Festmahl, das auf die Puja folgte, mit allen möglichen Gerichten, die ich noch nie zum Frühstück gegessen hatte – auch zu keiner anderen Mahlzeit. Miss Simpkins knabberte nur herum. Ich mochte den Tumult am Tisch, das Gelächter und das Durcheinander von Englisch und Sherpasprache. Außerdem freute ich mich, Kami und Ang Jeta näher kennen zu lernen. Kate bombardierte sie mit Fragen nach ihrer Heimat, der Bedeutung und der Herkunft ihrer Namen. Nach seiner Wache kam auch Dalkey dazu und erzählte einen zotigen Witz nach dem anderen, die uns alle zum Lachen brachten – auch
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