Airframe
Sicherheitsgurt eingerastet, hatte sich Alison schon auf die Seite ihres Vaters geschlagen. Jim trat aufs Gas, der Lexus fuhr davon, und Casey blieb alleine auf dem Bürgersteig zurück. Das Auto bog rasch um die Kurve und war verschwunden.
Unten am Ende der Straße sah sie die leicht gebückte Gestalt ihres Nachbarn Amos, der wie jeden Morgen seinen knurrenden Hund ausführte. Amos arbeitete wie Casey bei Norton Aircraft. Sie winkte ihm, und er winkte zurück.
Casey wollte eben wieder ins Haus gehen, um sich für die Arbeit anzuziehen, als ihr eine blaue Limousine auffiel, die auf der anderen Straßenseite stand. In dem Auto saßen zwei Männer. Einer las eine Zeitung, der andere sah zum Fenster hinaus. Sie blieb stehen. Vor kurzem war bei Mrs. Alvarez, ihrer Nachbarin, eingebrochen worden. Wer waren diese Männer? Irgendwelche Gang-Mitglieder wohl nicht; sie waren Mitte Zwanzig, und ihre kantigen Gesichter wirkten irgendwie militärisch.
Casey überlegte gerade, ob sie sich die Autonummer notieren sollte, als ihr Piepser sich mit einem elektronischen Pfeifen meldete. Sie hakte ihn von ihren Shorts los und las:
*** JM IRT 0700 WR BTOYA
Sie seufzte. Die drei Sterne bedeuteten höchste Dringlichkeitsstufe: Ihr Chef, John Marder, berief für sieben Uhr morgens ein IRT-Treffen in den War Room ein, den Besprechungsraum, in dem bei wichtigen Entscheidungen Kriegsrat gehalten wurde. Das war eine volle Stunde vor der normalen morgendlichen Besprechung; irgend etwas war im Busch. Das letzte Kürzel bestätigte dies, in Firmenslang: BTOYA.
Be There Or It’s Your Ass - Nichterscheinen kostet den Kopf.
6 Uhr 32
Flughafen Burbank
Der Stoßverkehr quälte sich im blassen Morgenlicht vorwärts. Casey drehte den Rückspiegel zu sich, um ihr Make-up zu überprüfen. Mit ihren kurzen dunklen Haaren war sie auf eine burschikose Art attraktiv - langgliedrig und sportlich. Im Softball-Team der Firma spielte sie am ersten Mal. Männer gingen ungezwungen mit ihr um, sie behandelten sie wie eine jüngere Schwester, und das war ihr in der Firma nur recht.
Genau genommen hatte sie dort sowieso noch keine großen Probleme gehabt. Aufgewachsen war sie in einem Vorort von Detroit, als einzige Tochter eines Redakteurs der Detroit News. Ihre beiden älteren Brüder waren Ingenieure bei Ford. Ihre Mutter war gestorben, als sie noch ein kleines Kind war, sie wuchs also in einem Männerhaushalt auf. Sie war nie ein »Püppchen« gewesen, wie ihr Vater das nannte.
Nach Abschluß eines Journalistikstudiums an der Southern Illinois war sie ihren Brüdern zu Ford gefolgt. Da es ihr aber bald langweilig wurde, Pressemitteilungen zu schreiben, nutzte sie das Weiterbildungsprogramm der Firma und machte das Betriebswirtschaftsdiplom an der Wayne State. Zwischendurch heiratete sie Jim, einen Ingenieur bei Ford, und bekam ein Kind.
Aber Alisons Ankunft hatte auch das Ende ihrer Ehe bedeutet, denn konfrontiert mit Windeln und festen Fütterungszeiten begann Jim zu trinken und abends nicht nach Hause zu kommen. Schließlich hatten sie sich getrennt. Als Jim verkündete, er werde an die Westküste zu ziehen, um für Toyota zu arbeiten, beschloß Casey, ebenfalls umzuziehen. Sie wollte, daß Alison mit ihrem Vater in Kontakt blieb. Sie hatte die Nase voll von den Machenschaften bei Ford und den tristen Wintern in Detroit. Kalifornien bot ihr einen neuen Start: Sie würde ein Cabrio fahren und in einem sonnigen Haus am Strand mit Palmen vor dem Fenster wohnen; und ihre Tochter würde sonnengebräunt und gesund aufwachsen.
Doch statt dessen wohnte Casey nun in Glendale, eine halbe Stunde vom Strand entfernt. Sie hatte sich zwar tatsächlich ein Cabrio gekauft, nahm aber das Verdeck nie ab. Und obwohl das Viertel von Glendale, in dem sie lebte, seine Reize hatte, begann bereits wenige Blocks entfernt das Territorium der Straßengangs. Manchmal hörte sie nachts, wenn ihre Tochter schon schlief, das schwache Knallen von Schüssen. Casey machte sich Sorgen um Alisons Sicherheit. Sie machte sich Sorgen um die Ausbildung ihrer Tochter in einem Schulsystem, in dem Schüler mit fünfzig verschiedenen Muttersprachen unterrichtet wurden. Und sie machte sich Sorgen um die Zukunft, weil die kalifornische Wirtschaft noch immer in einer Depression steckte und Arbeit rar war. Jim war seit zwei Jahren ohne Job, seit Toyota ihn wegen seiner Trinkerei gefeuert hatte. Und auch Casey hatte nur knapp diverse Entlassungswellen bei Norton überlebt, wo die Produktion wegen
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