Airframe
schrien Passagiere und klammerten sich an Armstützen fest, als das Flugzeug steil nach unten
ging.
Die Kamera kippte wieder, und alle schienen in die Sitze zu sinken, die Mutter wurde von der Schwerkraft in die Polster gepreßt, ihre Wangen wurden eingedrückt, die Schultern sackten nach unten, das Baby schrie. Dann rief der Mann: »Was soll denn das?«, und die Frau stieg plötzlich, nur vom Sicherheitsgurt gehalten, in die Höhe.
Die Kamera sauste durch die Luft, ein Knirschen war zu hören, und danach begann das Bild sich schnell zu drehen. Als es wieder stabil wurde, war etwas Weißes mit Streifen zu sehen. Bevor Casey erkennen konnte, was es war, bewegte sich die Kamera, und sie sah eine Armstütze von unten, Finger, die sich um das Polster krallten. Die Kamera war irgendwo in den Mittelgang gefallen und filmte jetzt senkrecht nach oben. Die Schreie hörten nicht auf.
»Mein Gott«, sagte Harmon noch einmal.
Das Bild begann zu rutschen, gewann an Tempo und glitt an Sitz um Sitz vorbei. Aber es ging nach hinten, das erkannte Casey; das Flugzeug mußte also wieder steigen. Bevor sie sich orientieren konnte, erhob sich die Kamera in die Luft.
Schwerelos, dachte sie. Das Flugzeug hatte offensichtlich den Scheitelpunkt des Anstiegs erreicht und neigte sich jetzt wieder nach unten, und einen Augenblick lang herrschte Schwerelosigkeit, bevor…
Das Bild sauste, hektisch torkelnd und taumelnd, wieder nach unten. Etwas mußte die Kamera getroffen haben, denn ein Donk war zu hören, und Casey sah verschwommen einen aufgerissenen Mund, Zähne. Dann bewegte die Kamera sich wieder und landete offensichtlich auf einem Sitz. Ein großer Schuh kam auf die Linse zu, stieß dagegen.
Das Bild drehte sich schnell, beruhigte sich dann wieder. Die Kamera lag wieder im Mittelgang, das Objektiv Richtung Heck.
Das kurzfristig ruhige Bild war grauenhaft: Arme und Beine, die aus den Sitzreihen in den Mittelgang ragten. Die Leute schrien und hielten sich an allem fest, was sie in die Finger bekamen. Die Kamera begann sofort wieder zu rutschen, diesmal nach vorne.
Die Maschine befand sich im Sturzflug.
Die Kamera wurde immer schneller, krachte gegen ein Schott und drehte sich, so daß sie jetzt nach vorne zeigte. Sie raste auf einen Körper zu, der im Mittelgang lag. Es war eine ältere Chinesin, die eben den Kopf hob, so daß die Kamera sie an der Stirn traf, und dann flog die Kamera, sich schwindelerregend um die eigene Achse drehend, durch die Luft und knallte wieder auf den Boden.
Es gab eine Großaufnahme von etwas Glänzendem, einer Gürtelschnalle vielleicht, und dann rutschte die Kamera weiter nach vorne, ins Bugabteil, rutschte weiter, stieß gegen einen Frauenschuh im Mittelgang und drehte sich wieder nach vorne.
Sie erreichte die vordere Bordküche, wo sie kurz an etwas hängenblieb. Eine Weinflasche rollte über den Boden, stieß gegen die Kamera, die sich ein paarmal drehte und dann begann, über die eigene Längsachse abzurollen; die Bilder verwirbelten, als die Kamera durch das Bugabteil bis zum Cockpit taumelte.
Die Cockpittür war offen, und kurz sah Casey durch die Cockpitfenster den Himmel, dann blaue Schultern und eine Mütze, und schließlich kam die Kamera mit einem Krachen zum Stehen und zeigte das ruhige Bild eines grauen Feldes. Nach einem Augenblick erkannte Casey, daß die Kamera jetzt unter der Cockpittür eingeklemmt war, genau an der Stelle, wo sie sie gefunden hatte, das Objektiv auf den Teppich gerichtet.
Sonst gab es nichts mehr zu sehen, nur noch das verschwommene Grau dieses Teppichs, aber sie konnte die Alarmmeldungen im Cockpit hören, das schrille Bimmeln der elektronischen Warnungen, und die Stimmen vom Band, die nun eine nach der anderen aktiviert wurden: »Airspeed…. Airspeed« und »Stall … Stall«. Dann weitere elektronische Warnungen, und Stimmen, die aufgeregt auf chinesisch schrien.
»Stoppen Sie das Band«, sagte Casey.
Harmon stoppte es.
»Mein Gott«, sagte er.
Sie sah sich das Band ein zweitesmal an, und dann noch einmal in Zeitlupe. Aber auch in Zeitlupe, das mußte sie erkennen, waren viele Bewegungen nur nicht zu identifizierende Schlieren. »Ich kann nichts sehen«, sagte Casey immer wieder. »Ich kann nicht sehen, was passiert.«
Harmon, der sich inzwischen an die Sequenz gewöhnt hatte, sagte: »Ich kann eine erweiterte Einzelbildanalyse für Sie machen.«
»Was ist denn das?«
»Ich kann mit dem Computer drübergehen und Bilder interpolieren, wo die Bewegung
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