Airport-Klinik
prompt erwischt«, sagte Hansen und stand auf. Es hielt ihn nicht länger im Sessel. Für diese Besprechung hatte er alles abgesagt. Wichtig genug war sie ja auch. Doch die Vorstellung, daß da ein Irrer herumlief, der zunächst die Überwachungskameras des Air-Ports mit einem inzwischen entdeckten Relais-Zünder außer Betrieb setzte – daß derselbe Mann unter Berufung auf dieses entsetzliche Palästinenser-Attentat vor sieben Jahren damit drohte, eine Bombe oder sonst etwas hochgehen zu lassen – und das, nachdem man hier in der Klinik alles drangesetzt hatte, seinen Jungen zu retten – es war einfach zu viel!
Brunners dicker Zeigefinger glitt über die Akte: »Introvertiert? Das heißt doch mehr oder weniger kommunikationsgestört? War er also schon vor zwanzig Jahren. In diesen zwanzig Jahren hat er wahrscheinlich zugelegt. Ich kenne solche Typen. Reden überhaupt nichts mehr, reden nur mit sich selbst. Das geht bei denen alles nach innen – und dann, eines Tages, macht es – Bang! Die berühmte Implosion. Dreht durch!«
Er legte den Kopf schief: »Es tut mir leid, Doktor. Sie hätten es mir damals gleich sagen müssen.«
»Ach, Sie und Ihr Persönlichkeitsprofil.« Hansen wurde es zuviel. »Und was heißt denn ›kommunikationsgestört‹? Mir hat er eine geschmiert. Soviel Kommunikationsbereitschaft brachte er immerhin noch auf.«
Brunner klappte seine Akte zu und zuckte die Schultern.
»Hören Sie, Brunner!« erregte sich Hansen weiter, »das sind doch alles nur Gedankenspielchen, die wir hier treiben. Weil ich zufällig durch Sie von dem Ausfall der Überwachungskameras erfuhr, sind wir doch überhaupt erst darauf gekommen. Wer sagt Ihnen denn, um Himmelswillen, daß dieser Herr ›Ypsilon‹, der den Drohbrief unterzeichnet hat, überhaupt mit Roser identisch ist?«
»Niemand, Doktor.« Brunner ging zur Tür, drehte sich aber dann noch einmal um: »Wissen Sie, was wir Kriminalisten unter Prophylaxe verstehen? Übertreibung. – Übertreibende Hysterie oder Paranoia … nennen Sie es, wie Sie wollen. Oder sagen Sie einfach: Man hat schon Pferde kotzen gesehen. Und weil wir so sind und das ständig denken, kotzen vielleicht ein paar Pferde weniger, als sie könnten. Aber ob Herr Ypsilon und Herr Karl Roser was miteinander zu tun haben und ob es wirklich um seinen Sohn Werner Roser geht, das kann ich Ihnen vielleicht in schon einer Stunde erzählen. – Tschüs!«
Oben im Regal – die Hemden. Und alle noch so sauber auf Kante gepackt, wie mein Vater sie hingelegt hatte. Ich nehm das Blaue, der Rest kommt in den Koffer.
Werner Roser zog seine Schlafanzugjacke aus und spürte die Baumwolle des Hemdes kühl und frisch auf seiner Haut. Wie das gut tut. Er nahm Hemden, Wäsche und Socken und legte alles sorgfältig in den Koffer. Nun der Schlafanzug. Die Zeitungen läßt du hier, die Orangen auch, die verdammten Tabletten sowieso. Für den nächsten Patienten in diesem Zimmer des Rotkreuz-Krankenhauses zur Erinnerung.
Himmelarsch, und um fünf Uhr bist du draußen. Der Zwanziger auf dem Nachttisch reicht für ein Taxi. Und nach Hause? – Von wegen! Zuerst fährst du ins ›Tivoli‹ zu Rosi und stellst dich vor: Rundumerneuert. Aufrecht und mit neuem Dampf. Die wird staunen!
Er begann die Hemdknöpfe zu schließen. Zuvor strich er wie immer über die Narben. Es war zu einer Gewohnheit geworden – so, wie man manche Dinge berührt, um sich zu vergewissern, daß man auch selbst existiert. Dann setzte er sich doch nochmal aufs Bett, schob den Koffer zur Seite, nahm die Beine hoch und streckte sich aus: Drüben der Balkon. Einzelzimmer. Alles Eins A … Die hatten ihn von Anfang an behandelt wie einen Luxuspatienten, und in ihren Augen, so bescheuert sind die Ärzte nun mal, war er's wohl auch. Ein interessanter Fall war er für sie. Einer auf Abruf. Und den ›Abruf‹ wollten sie, mußten sie ja verhindern, obwohl es eine Menge gekostet und er doch gar keine Chance hatte. Im Bett hatte er gelegen wie ein weggeworfener Scheuerlappen, lag, ohne zu wissen, wo und wem das Bett gehörte. Und durch die geöffnete Balkontür hatte er die Glocken die Zeit schlagen hören. Aber die hatten nicht so geklungen, wie er das von zu Hause kannte; vielmehr kamen die Töne buchstäblich herangeschwommen, merkwürdig langgezogen, verzerrt. Gedämpfte Klänge, die wie Ölschlieren im Wasser waren. Und wenn er Stimmen hörte; die Stimmen der Leute, die an seinem Bett standen, war es das Gleiche: undeutlich. Alles
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