Airport-Klinik
gesagt: Das war's, Herta! Das war dein Leben. Jetzt ist es zu Ende. Laß deine Insel versinken und spring ihr nach. Warum soll ich dieses Leben noch ertragen? Ich bin ja innerlich schon tot … auf die leere Körperhülle kommt es nicht mehr an.«
»Und deshalb fahren Sie zum Flughafen, um sich von der Terrasse zu stürzen? Warum gerade dort? Es gibt doch so viele andere Möglichkeiten.«
Sie nickte und faltete dann die Hände. »Es hängt mit meiner Trauminsel zusammen. Auf der Terrasse des Restaurants haben Helmut und ich einmal gestanden, in der Zeit, wo es nichts gab als unsere Liebe. Wir haben damals den abfliegenden Flugzeugen nachgeblickt, und Helmut hat dann auf eine der Maschinen gezeigt und gesagt: ›Sieh da, die fliegt nach Kenia‹. Oder: ›Da fliegt eine nach Mauritius. Eine wunderschöne Insel mit paradiesischen Stränden. Und da, der Jumbo: nach Japan. Japan … die Kirschblüte. Das ganze Land ein Meer von blühenden Bäumen; so etwas mußt du gesehen haben. Zur nächsten Kirschblüte fliegen wir nach Japan‹ … Es war so wunderschön, ich habe alles geglaubt. Ich schwebte in den Wolken … und nicht weit davon entfernt warteten seine Geliebte und seine Kinder auf ihn. Aber das wußte ich ja damals noch nicht. Heute, wo ich ein Ende machen wollte, bin ich auf diese Terrasse gegangen – an den Ort, wo ich von meiner großen Liebe träumte. Dort wollte ich nun auch sterben. Ist das so unverständlich?«
»Jetzt nicht mehr. Aber Sie leben. Und Sie werden weiterleben. Sie haben zwei Kinder … eine Großmutter kann nie die Mutter ersetzen. Sie haben den Sprung getan, und das Schicksal hat entschieden, daß Sie bleiben sollen. Der Tod will Sie noch nicht haben. Akzeptieren Sie das! Lassen Sie die böse Vergangenheit ruhen, schließen Sie dieses Kapitel Ihres Lebens. Weglaufen ist keine Lösung … das Leben anpacken, das hilft weiter. Bedenken Sie, was Sie mit ihren sechsunddreißig Jahren noch alles erwarten dürfen! Haben Sie einen Beruf?«
»Ja. Ich war vor meiner Ehe Journalistin. In der Feuilleton-Redaktion der ›Rundschau‹. Dort habe ich auch Horst kennengelernt. Er war Presse-Fotograf und deshalb immer unterwegs. Als das erste Kind kam, habe ich bei der Zeitung aufgehört.«
»Sie könnten wieder als Journalistin arbeiten, Herta.«
»Ich habe keinen Mumm mehr, Doktor. Ich bin innerlich leer.«
»Es braucht Zeit, bis sich die Seele wieder füllt.« Dr. Hansen erhob sich von der Bettkante. »Ich komme gleich wieder, Herta. Nur ein paar Minuten. Wir haben noch manches miteinander zu besprechen.«
Sie nickte, und zum erstenmal huschte ein schwaches Lächeln um ihre Mundwinkel.
»Danke, Doktor …«
Dann schloß sie wieder die Augen, und Dr. Hansen verließ das Zimmer.
Im Warteraum saßen noch immer die Polizeibeamten und blätterten in alten, vergriffenen Illustrierten. Sie standen auf, als Dr. Hansen eintrat.
»Können wir jetzt?« fragte der Inspektor.
»Nein. Die Patientin befindet sich noch in einem lebensbedrohlichen Schockzustand.« Und sarkastisch fügte er hinzu: »Man nimmt sich ja nicht öfter das Leben. Es ist unmöglich, sie jetzt zu verhören. Ich muß das ablehnen. Im übrigen kann sie ja auch nicht sprechen in ihrem Zustand. Aber die Personalien kann ich Ihnen geben. Die Frau heißt Herta Frieske.«
Der Beamte notierte sich den Namen in ein Notizbuch. »Wohnhaft?« fragte er dann knarrend.
»Keine Ahnung.«
»Sie haben nicht danach gefragt?«
»Ich sagte Ihnen doch: Sie steht unter Schock. Der Name war das einzige, was wir aus ihr herauslocken konnten. Kommen Sie morgen wieder.«
»Bleibt Frau Frieske hier in der Airport-Klinik?«
Üblich war es, daß die Patienten nach der Erstversorgung sofort in die umliegenden Krankenhäuser überwiesen wurden. Dafür standen vier Krankentransportwagen und zwei Notarztwagen zur Verfügung.
»Ich weiß es nicht. Ich gebe Ihnen morgen Nachricht, wo sie sich befindet.«
»Wir müssen aber die Angehörigen benachrichtigen!« Der Polizist klappte sein Notizbuch provokant laut zu. »Ist sie aus Frankfurt?«
»Keine Ahnung.« Dr. Hansen hob die Schultern. »Angehörige – so habe ich es in Erinnerung – werden von der Polizei vor allem bei Todesfällen benachrichtigt. Aber Frau Frieske lebt … Guten Tag, meine Herren!«
»Ein arroganter Pinkel!« knurrte der Inspektor, nachdem Dr. Hansen verschwunden war. »Gott in Weiß. Dabei ist Arzt ein Beruf wie jeder andere …«
Im Untersuchungszimmer traf Dr. Hansen auf Schwester
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