Akte Atlantis
scheute man weder Kosten noch Aufwand. Im Teatro Colon, das sich über eine ganze Häuserzeile erstreckt und eine faszinierende Verbindung aus Jugendstil, italienischer Renaissance und französischem Klassizismus darstellt, tanzten bereits Nijinskij und die Pawlowa, stand einst ein Toscanini am Dirigentenpult, und alle großen Künstler ihrer Zeit, von Caruso bis Callas, traten hier auf.
Der Innenraum ist so prunkvoll, dass es einem schier die Sprache verschlägt.
Kunstvoll verschlungene Messinggeländer säumen die Emporen, die Sitze im Parkett und auf den sechs Rängen sind mit Samt bezogen, die Vorhänge mit Goldbrokat durchwirkt, und über all dieser Pracht spannt sich eine meisterhaft bemalte und mit reichem Stuck verzierte Decke. An den glanzvollen Premierenabenden versammelt sich die gesamte feine Gesellschaft von Argentinien in dem mit italienischem Marmor getäfelten Foyer und begibt sich über die prachtvollen Treppen zu den luxuriösen Logen.
Sechzig Sekunden vor Beginn der Ouvertüre zu Claudio Monteverdis
L’incoronazione di Poppea
waren sämtliche Plätze des Hauses besetzt, mit Ausnahme der Loge auf der rechten Seite der Bühne. Die war noch leer.
Kurz bevor die Lichter im Saal ausgingen, begaben sich ein Mann und vier Frauen in die Loge und nahmen auf den rostbraunen Samtsesseln Platz. Davor, von den Vorhängen vor neugierigen Blicken geschützt, bezogen zwei Leibwächter Posten, beide geschniegelt und in elegantem Frack. Aller Augen und zahlreiche Operngläser richteten sich auf die Neuankömmlinge, die im letzten Moment und so unauffällig wie nur möglich in die Loge geschlüpft waren.
Die Frauen waren hinreißend, nicht nur hübsch oder außergewöhnlich, sondern strahlende Schönheiten im klassischen Sinn. Sie hatten allesamt flachsblonde Haare, die am Oberkopf zu dichten Zöpfchen geflochten waren und in langen, sorgfältig aufgedrehten Locken über die bloßen Schultern fielen.
Hoheitsvoll saßen sie da, die schmalen Hände schicklich im Schoß gefaltet, und schauten mit den ihnen allen eigenen blaugrauen Augen, die so durchdringend schimmerten wie Mondlicht in rabenschwarzer Nacht, hinab in den Orchestergraben. Ebenmäßig wirkten die Gesichter mit den hohen Jochbeinen und dem leicht gebräunten Teint, der womöglich noch vom letzten Skiurlaub in den Anden oder vom jüngsten Sonnenbad auf einer draußen vor Bahia Blanca vor Anker liegenden Jacht herrührte. Man hätte sie ohne weiteres für fünfundzwanzig halten können, doch alle vier waren zehn Jahre älter, waren nicht nur Schwestern, sondern entstammten einer Sechslingsgeburt.
Trotz der Kleidung konnte man erkennen, dass sie alle rank und schlank und durchtrainiert waren.
Alle vier trugen lange, mit Fuchspelz besetzte Abendkleider aus schimmernder Seide, die sich nur farblich voneinander unterschieden.
Strahlend wie gelbe, blaue, grüne und rote Edelsteine saßen sie in ihrer Loge, umfunkelt vom glitzernden Feuer ihrer mit Diamanten besetzten Kolliers, Ohrringe und Armbänder. Doch bei aller Schönheit und Farbenpracht wirkten sie unnah, fast ätherisch, wie Göttinnen.
Niemand, der sie so sah, wäre auf die Idee gekommen, dass jede von ihnen schon fünf Kinder geboren hatte. Die vier Frauen, die stellvertretend für ihre Familie an dieser Premiere teilnahmen, hatten sich anmutig nickend und lächelnd dem Mann in ihrer Mitte zugewandt.
Kerzengerade saß er da, ebenso blond und mit den gleichen blaugrauen Augen wie seine Schwestern. Doch damit endete die Ähnlichkeit.
Auch er konnte sich sehen lassen, war aber eher markig als makellos schön, mit schmaler Taille, breiten Schultern und muskulösen Armen und Beinen. Über dem kantigen Gesicht mit dem nur leicht angedeuteten Spalt im Kinn und der kerzengeraden Nase wucherte dichtes blondes Haar, das förmlich dazu einlud, von zarter weiblicher Hand gestreichelt zu werden. Er war groß – mit knapp zwei Metern überragte er seine eins achtundsiebzig großen Schwestern um fast einen Kopf.
Als er sich seinen Geschwistern zuwandte, strahlend lächelte und angeregt mit ihnen redete, wirkte er jungenhaft freundlich, als könnte er kein Wässerchen trüben. Die Augen indes waren eiskalt. Als ob ein Panther auf der Suche nach Beute über die Savanne spähte.
Karl Wolf war ein reicher und mächtiger Mann, Vorstandsvorsitzender eines riesigen Familienimperiums mit Niederlassungen in China und Indien, ganz Europa, Kanada, den Vereinigten Staaten, Mexiko und Südamerika. Sein
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