Akte Atlantis
persönliches Vermögen wurde auf weit über hundert Milliarden Dollar geschätzt. Die von ihm geleitete Unternehmensgruppe, die sich der Anwendung neuester wissenschaftlicher und technologischer Erkenntnisse verschrieben hatte, war in der Wirtschaftswelt allgemein unter dem Namen Destiny Enterprises Limited bekannt. Karl war im Gegensatz zu seinen Schwestern noch unverheiratet.
Karl Wolf und seine Anverwandten hätten mühelos Zugang zur so genannten Prominenz des neuen Argentinien finden können. Er war gebildet, voller Selbstvertrauen, wohlhabend, doch er und die anderen Mitglieder seiner Familie lebten eher bescheiden, jedenfalls in Anbetracht ihres riesigen Vermögens.
Selten nur ließ sich jemand aus dem Wolfschen Familienclan, einer über zweihundert Mitglieder zählenden Dynastie, in einem der schicken Restaurants oder bei offiziellen Anlässen blicken, so gut wie nie sah man eine der Frauen in den zahllosen eleganten Geschäften und Boutiquen von Buenos Aires. Man lebte zurückgezogen, achtete darauf, dass niemand auffiel, von Karl einmal abgesehen, der sich betont offen und aufgeschlossen gab, und schottete sich von seinen argentinischen Mitbürgern ab. Man schloss mit niemandem Freundschaft, nicht einmal mit Prominenten oder hohen Regierungsvertretern. Stets achtete die Familie Wolf auf Distanz. Immer nahmen sie den Familiennamen ihrer Frauen an, sodass alle weiteren Sprösslinge ebenfalls den Namen Wolf trugen, egal, ob sie der männlichen oder weiblichen Linie entsprangen. Sie alle bildeten eine verschworene Gemeinschaft.
Umso mehr Aufsehen und Getuschel erregten Karl und seine Schwestern, als sie an diesem Abend der Premiere beiwohnten.
Dann endete die Ouvertüre, und der Vorhang ging auf, worauf sich das Publikum widerstrebend von den fünf hinreißend schönen Gestalten in der Loge losriss und sich der Bühne zuwandte.
Maria Wolf, die links neben Karl saß, beugte sich vor. »Wieso müssen wir uns das immer wieder antun?«, flüsterte sie ihm zu.
Wolf wandte sich lächelnd an sie. »Weil wir uns ab und zu der Öffentlichkeit präsentieren müssen, Schwesterherz, sonst könnte man in der Regierung oder der Presse auf die Idee kommen, wir hätten etwas zu verbergen. Lieber hie und da ein Auftritt, als dass man uns eine gigantische Verschwörung andichtet oder uns für Außerirdische hält, die das Land in ihre Gewalt bekommen wollen.«
»Wir hätten warten sollen, bis Heidi aus der Antarktis zurück ist.«
»Ganz meine Meinung«, flüsterte Geli, die rechts von Wolf saß. »Sie ist die einzige, die diesem langweiligen Gedudel etwas abgewinnen könnte.«
Wolf tätschelte Gelis Hand. »Ich werde sie dafür nächste Woche zur Premiere von
La Traviata
begleiten.«
Sie achteten nicht auf die Blicke des Publikums, das hin und her gerissen war zwischen der Lo ge und dem Geschehen auf der Bühne. Der Vorhang zum dritten Akt war gerade aufgegangen, als einer der Leibwächter eintrat, die draußen auf dem Gang Wache standen, und Wolf etwas ins Ohr flüsterte. Er erstarrte sichtlich, das Lächeln erstarb, und er beugte sich mit ernster Miene vor. »Liebe Schwestern«, sagte er leise, »ich muss euch leider verlassen. Ein Notfall. Ihr bleibt hier. Ich habe uns im Plaza Grill einen privaten Speiseraum für ein leichtes Abendessen nach der Vorstellung reservieren lassen. Geht schon mal vor, ich komme später nach.«
Alle vier Frauen wandten sich von der Bühne ab und blickten ihn betroffen an. »Was ist denn los?«, fragte Geli.
»Wir würden es gern wissen«, sagte Maria.
»Wenn ich es weiß, sage ich euch Bescheid«, versprach er.
»Und jetzt amüsiert euch.«
Wolf stand auf und verließ in Begleitung eines Leibwächters die Loge, während der andere weiter auf Posten blieb. Er eilte durch einen Seitenausgang aus dem Theater und stieg in einen bereitstehenden Wagen, einen 1969er Mercedes Benz 600, ein Auto, das auch nach über vierzig Jahren noch als die luxuriöseste Limousine der Welt galt.
Es herrschte dichter Verkehr, aber das war in Buenos Aires üblich.
Hier war von spätabends bis in die frühen Morgenstunden immer viel los auf den Straßen. Der Fahrer steuerte den Mercedes nach Recoleta, den Teil des Barrio Norte, der sich rund um die Grünanlagen an der Plaza Francia und der Plaza Intendente Alvear erstreckte. Mit seinen von Bäumen gesäumten Boulevards, den schicken Geschäften, eleganten Hotels und palastartigen Villen galt er als das Nobelviertel von Buenos Aires, vergleichbar der
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