Akte Atlantis
sie auf. Eine Frau saß aufrecht in einem Krankenhausbett und starrte aus dem Fenster, soweit das durch den starken Maschendraht und die Gitterstangen möglich war. Pitt sah Elsie zum ersten Mal bei Tageslicht, und wieder erschrak er über die unglaubliche Ähnlichkeit mit ihrer toten Cousine.
Die gleichen langen blonden Haare, die gleichen blaugrauen Augen.
Kaum zu glauben, dass sie lediglich Cousinen waren.
»Miss Wolf«, sagte Bell fröhlich. »Ich habe Ihnen einen Besucher mitgebracht.« Er schaute Pitt an und nickte. »Ich lass Euch zwei allein. Sehen Sie zu, dass es nicht zu lange dauert.«
Der Arzt hatte Pitt nicht darauf hingewiesen, wie er sich bemerkbar machen konnte, falls es Schwierigkeiten geben sollte, und nirgendwo sah er eine Fernsehkamera. Trotzdem war er davon überzeugt, dass jede Bewegung und jedes Wort überwacht und aufgezeichnet wurden.
Er zog einen Stuhl neben das Bett und setzte sich, sagte aber fast eine Minute lang nichts, schaute nur in die blaugrauen Augen, die durch ihn hindurch auf einen an der gegenüberliegenden Wand hängenden Kunstdruck vom Grand Canyon starrten. Schließlich begann er: »Ich heißt Dirk Pitt. Ich weiß nicht, ob Ihnen der Name was sagt, aber der Kommandant von U-2015 schien ihn zu kennen, als wir uns im Packeis miteinander unterhalten haben.«
Sie kniff die Augen leicht zusammen, schwieg aber weiter.
»Ich bin zu dem Wrack getaucht«, fuhr Pitt fort, »und habe die Leiche Ihrer Cousine Heidi geborgen. Soll ich dafür sorgen, dass sie zu Karl nach Buenos Aires überführt wird, damit man sie auf dem Wolfsehen Privatfriedhof standesgemäß beerdigen kann?«
Pitt wagte sich weit vor, aber er nahm an, dass die Wolfs einen Privatfriedhof hatten.
Diesmal landete er einen Treffer. Ihr Blick wurde versonnen, als sie über seine Worte nachdachte. Schließlich fing sie an zu zittern, wurde sichtlich wütend und kniff den Mund zusammen.
»Sie sind das!«, stieß sie aus. »Sie sind für den Tod unserer Leute in Colorado verantwortlich.«
»Dr. Bell hat sich geirrt. Sie haben ja doch eine Zunge.«
»Waren Sie etwa auch dabei, als unser U-Boot gesunken ist?«, fragte sie verwirrt.
»In Colorado habe ich aus Notwehr gehandelt. Und ich war auch auf der
Polar Storm
, als euer U-Boot unterging, aber dafür kann ich nichts. Geben Sie von mir aus der US-Marine die Schuld. Wenn sie nicht rechtzeitig eingegriffen hätte, hätten Ihre Cousine und ihre verdammte Piratenbande ein harmloses Forschungsschiff versenkt und über hundert unschuldige Besatzungsmitglieder und Wissenschaftler umgebracht.
Verlangen Sie nicht von mir, dass ich auch nur eine Träne für Heidi vergieße. Meiner Ansicht nach haben sie und ihre Besatzung nur ihre gerechte Strafe erhalten.«
»Was haben Sie mit der Leiche angestellt?«, wollte sie wissen.
»Sie ist hier in der Klinik, in der Pathologie«, antwortete er.
»Man hat mir berichtet, dass Sie beide aus dem gleichen Wurf stammen könnten.«
»Wir sind genetisch rein«, sagte Elsie hochmütig. »Im Gegensatz zu allen anderen Menschen.«
»Wie kommt das?«
»Man hat drei Generationen lang experimentiert und sorgfältig ausgewählt. Meine Generation ist körperlich vollkommen und besitzt einen genialen Verstand. Außerdem sind wir auch künstlerisch hoch begabt.«
»Wirklich?«, sagte Pitt spöttisch. »Und ich dachte immer, Inzucht führt zu Schwachsinn.«
Elsie starrte Pitt eine ganze Weile an, dann lächelte sie kalt.
»Ihre Beleidigungen sind sinnlos. Bald schon werden Sie und all die anderen minderwertigen Kreaturen von dieser Welt gefegt sein.«
Pitt achtete auf ihre Augen, als er ruhig und gelassen zu einer Erwiderung ansetzte. »Ach ja, wenn der Doppelgänger von dem Kometen, der vor neuntausend Jahren die Amenes vernichtet hat, die Erde trifft und die Menschheit dezimiert. Darüber weiß ich schon Bescheid.«
Beinahe wäre es ihm entgangen, doch dann sah er es. Ein kurzes, triumphierendes Aufleuchten in ihren Augen, ein fast verzückter Blick.
Er meinte die pure Bosheit, die von ihr ausging, geradezu mit Händen greifen zu können. Ihm war unwohl zu Mute. Er hatte das Gefühl, dass sie ihm ein Geheimnis vorenthielt, etwas so Gefährliches, dass er es sich nicht einmal annähernd vorstellen konnte.
»Wie lange haben eure Fachleute gebraucht, um die Inschriften zu entziffern?«, fragte sie wie beiläufig.
»Fünf, sechs Tage.«
Selbstgefällig schaute sie ihn an. »Unsere Leute haben es in drei geschafft.«
Er war davon
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