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Akte Mosel

Akte Mosel

Titel: Akte Mosel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mischa Martini
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hinaus. Die warme Luft des späten Vormittags hüllt ihn ein wie ein dickes Plumeau. Zuhause streift er sich schon im Treppenhaus das Hemd über den Kopf und legt sich vorsichtig neben Marie auf’s Bett. Einen Augenblick hört er noch von der Mosel her das Tuckern eines Lastkahns, dann fällt er in einen tiefen Schlaf.
    Der Fotograf legt einen Aureus nach dem anderen auf ein weißes Tuch, und jedesmal, wenn er den Auslöser betätigt, ist die Münze verschwunden. Ein total betrunkener Zelig prostet Jo mit einem überschwappenden Kupferbecher zu und schreit: »Ja, wenn es der Wahrheitsfindung dient, Herr Ganz.«
    Der Fotograf geht dazu über, händeweise Münzen vor das Objektiv zu legen und verschwinden zu lassen.
    »Achtung, paßt doch auf«, schreit Jo und versucht, den Fotografen an seinem Tun zu hindern. Er kann nicht aufstehen, er sitzt zwischen zwei Stadtstreichern auf einer Bank und wird von ihnen festgehalten …
    Jo wacht schweißüberströmt auf. Die Sonne scheint durch das geöffnete Fenster grell auf sein Gesicht. Mit Mühe dreht er sich um und gelangt aus dem blendenden Licht. Langsam kehrt die Realität zurück. Marie schläft fest. Draußen ist es ruhig, den Vögeln ist es zu heiß zum Singen. Er setzt sich auf und schaut auf seine Uhr. Sie zeigt 13 Uhr, stehen geblieben. Er hat sie gestern abend nicht aufgezogen. Das macht er immer vor dem Schlafengehen, und gestern Nacht war er nicht im Bett.
    Die Steinstufen der Treppe sind angenehm kühl unter seinen nackten Füßen. Im Keller beugt er sich über die Brunneneinfassung, die an der Haut über den Shorts scheuert, findet den losen Stein und zieht ihn heraus. Für einen Moment droht er seiner feuchten Hand zu entgleiten, und er muß sich gefährlich weit nach vorn recken, um mit der anderen Hand nachzufassen. Allein der Gedanke, mit den Füßen nach oben im Wasser zu zappeln und sich in der engen Röhre nicht mehr drehen zu können, läßt ihn erschaudern. Er legt den Ziegel auf die Brüstung und zieht vorsichtig den Beutel aus der Lücke. Im Haus ist es ruhig. Durch die Folie schimmern glänzend einige Stücke. Er entfernt den Verschluß und läßt eine Hand in den Beutel gleiten. Als er die ersten Münzen berührt, schließt Jo genußvoll die Augen. Scheiß der Hund drauf, die hat er behalten, und die kriegt diese Museumsbagage nicht in die Finger!
    In den Rohren an der Kellerdecke rauscht Wasser. Jo verschließt hastig den Beutel und legt ihn in das Versteck zurück. Beim Rausgehen greift er sich eine Flasche Saft.
    Er nimmt einen tiefen Schluck und geht zum Telefon. Die schwarze Wählscheibe des Apparates aus den 50er Jahren surrt gleichmäßig unter seinem Zeigefinger.
    *
    Was war das? Walde nimmt seine Hand vom Kinn und lauscht. Die Sonne scheint warm auf seinen nackten Rücken. Die Zimmerpflanzen stehen in gleißendem Licht. Er schlurft zum Fenster und läßt die Rolläden halb herunter. Seine haarigen Beinen ragen aus einer Schiesser Feinripp. Die zwei Nummern zu großen Unterhosen sind ein Geschenk von Tante Martha. Dann kehrt er wieder an den nun im Schatten liegenden Schreibtisch zurück.
    Der Bildschirm-Schoner verwandelt den Monitor in ein Aquarium mit bunten Meeresfischen, die sich ab und zu gegenseitig verspeisen. Darunter verbirgt sich eine Datei mit Informationen von Hunderten im Fall Nicole in Verdacht geratenen oder sonst wie auffällig gewordenen Personen. Er hat die Daten im Laufe der Jahre zusammen mit Harry eingegeben, ständig erweitert und geht sie in unregelmäßigen Abständen durch.
    Nach einem letzten vergeblichen Versuch mit einer reißerisch inszenierten Veröffentlichung in Aktenzeichen XY ungelöst wurde damals die Sonderkommission aufgelöst. Ein ungeklärter Mordfall wird zwar nie zu den Akten gelegt, aber ohne neuen Ermittlungsansatz konnte nicht mehr viel getan werden. Es ereigneten sich auch keine weiteren Fälle mehr, die auf einen Serientäter gedeutet hätten. Bis heute werden bei Festnahmen in Zusammenhang mit Sexualstraftaten routinemäßig Fragen zum Fall Nicole gestellt, aber die Hoffnung auf neue Erkenntnisse ist gering. Bei den meisten Kollegen ist die Geschichte schon lange unter „Akte Mosel“ abgelegt – Aufklärung hoffnungslos.
    Da er, um sich in den Fall hineinzudenken, ein längeres Aktenstudium benötigt, hat er am heutigen Samstag bereits morgens die Kisten mit den Datenträgern, den Ausdrucken und den Kopien der wichtigsten Dokumente und Fotos hervorgeholt. Um welchen spitzen Gegenstand

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