Akte Mosel
kommt ganz auf den Wasserstand an. Wenn der in Duisburg geladen hat und jetzt schon ein paar Tage unterwegs ist, hat er eine Chance, ohne Strafe davonzukommen. Vor ein paar Tagen waren Gewitter angesagt, aber der Regen ist ausgeblieben.«
»Dann müssen die Schiffer also beim Laden gleich den Wasserstand der nächsten Tage einplanen?«
Der Mann stützt sich auf das Ruder: »Im Internet gibt es dazu ganz aktuelle Informationen. Zum Beispiel, wie lange eine Welle mit Schmelzwasser den Rhein runter unterwegs sein wird. Was die Schiffer im August bestimmt brennend interessiert.«
Walde betrachtet ein Regal, in dem ein Fotoalbum steht. »Darf ich?« fragt er, als er das Album aufschlägt. Er benötigt ein Weilchen, bis er begreift, was da wie ein Familienalbum mit handgeschriebenen Bildkommentaren zu sehen ist: ausschließlich Fotos von Wasserleichen.
»Das ist nicht jedermanns Sache«, der Mann am Steuer hat sich umgedreht, »ist so ein Spleen von ihm.« Er deutet auf Stadler, der soeben die Treppe von der Brücke der Sarrebourg heruntersteigt.
»Heißt das, im ganzen Album sind nur ..?«
Der andere nickt stumm. Walde wird leicht übel. Er geht aus der stickigen Kajüte und atmet draußen ein paarmal tief durch.
»Was ist, werden sie schon seekrank?« fragt Stadler, der wieder an Bord gekommen ist.
»Nein, ich bin heute schon zu lange in der Sonne gewesen, können Sie mich bitte wieder an Land bringen?«
Ein paar Minuten später schiebt Walde sein Fahrrad über den Bootssteg ans Zurlaubener Ufer. Wahrscheinlich ist Stadler gar nicht verrückt. Das ist wohl nur seine Art Desensibilisierung, was er da mit den Fotos versucht.
*
Gleich nach dem Frühstück in der Ferme Auberge machen sich Marie und Doris am Montagmorgen auf die Rückreise.
Hinter Grevenmacher verlassen sie in Luxemburg die Autobahn und gelangen bei Wasserbillig auf eine Straße entlang der Sauer. Bei Born biegt Marie in einen Feldweg ein und parkt in einem Tannenwäldchen. Aus einem Korb im Kofferraum zieht sie zwei Plastiktüten.
»Gucken wir mal, ob es hier Pfifferlinge gibt, vielleicht können wir den Luxemburger Artenreichtum durch ein paar feine Trüffel erweitern.«
»Oder Stinkmorcheln, wie man’s nimmt.«
»Die Plastiktüten sollen die Würmer abhalten.«
»Ich entdecke an dir Eigenschaften, die ich dir gar nicht zugetraut hätte. Du wärst ja eine richtig gute Gangsterbraut geworden.«
»Vielleicht liegst du mit deiner Vermutung gar nicht so falsch. Was wir hier verbuddeln, sind eher Peanuts im Vergleich zu dem, was ich vor ein paar Tagen in den Händen gehalten habe. Aber ich überlasse es Jo, dir die Geschichte zu erzählen.«
»Was war denn los?«
»Ich habe dir ja schon mal angedeutet, daß am Freitag wohl irgend etwas in der Luft gelegen hat. Ich habe Jo nichts von deiner Sache erzählt und werde das bei dir ebenso halten.«
»Wo ist er?«
»Zu Hause, nehme ich an, keine Angst, er brauchte nicht zu türmen.«
»Was hat er angestellt?«
»Sei froh, daß ich so verschwiegen bin … Ich warte hier auf dich, ich will gar nicht wissen, wo du das Geld deponierst.«
»Marie, was soll das? Ich vertraue dir.«
»Ist okay, ich warte trotzdem.«
Das Wäldchen beginnt sich nach wenigen Schritten zu lichten. Ein verrottender Holzstoß, ein paar herumliegende Steine, Doris verläßt den Weg und entscheidet sich für eine kleine Mulde neben einer Lärche. Niemand ist zu sehen. Bis auf ein Bündel Hunderter packt sie das Geld in die Plastiktüten und scharrt mit den Schuhen Tannennadeln in die Mulde. Die Stelle ist etwas dunkler als die Umgebung, weil die Nadeln aus den unteren Schichten feucht sind. In ein paar Stunden werden sie trocken sein. Es hat etwas für sich, wenn man sich ein wenig in der Natur auskennt. Die Lärche verliert ihre Nadeln im Winter, deshalb ist der Boden darunter auch besonders weich. So etwas fällt einer Joggerin auf. Obenauf legt sie einen bemoosten Stein und an den Stamm des Baumes ein Stöckchen, das in Richtung des Erdverstecks zeigt. Dann mißt sie die Entfernung zum Stamm ab: sechs Schritte. Beim Zurückgehen dreht sie sich mehrmals um und prägt sich die Stelle ein.
»Und, hat es geklappt?«
»Das Großherzogtum Luxemburg hat ein weiteres Gelddepot.«
»Wirst du es auch wiederfinden?«
»Ich male gleich eine Schatzkarte.«
»Und die stecken wir in eine Flasche und werfen sie in die Sauer.«
»Von da treibt sie durch Mosel und Rhein in die Nordsee, mit dem Golfstrom in die Südsee
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