Akte Mosel
elektronische Schranke am Ausgang. Es würde ihn nicht wundern, wenn das Alarmsignal losginge. Er ist kurz versucht, die Tüten über den Kopf zu halten, um sie dem Magnetfeld zu entziehen.
In der Passage am Nikolaus-Koch-Platz stehen Leute vor den Schaukästen, in denen die aktuelle Tageszeitung aushängt. Keine Meldung vom großen Goldfund.
An der Bushaltestelle läßt er sich unter den Platanen auf einen grünen Schalensitz sinken.
Er erwischt einen Bus mit Klimaanlage. Irgendwie symbolisiert das Gefährt Jos bisheriges Leben. Seine Temperatur ist fast immer im mittleren Bereich verlaufen, und wenn es Aufregung gab, dann hat sie Spaß gemacht. Nie ist es brenzlig geworden. Das meiste hat seinen geordneten Lauf genommen. Schule und Studium verliefen glatt, um die Bundeswehr konnte er sich drücken, nicht einmal Ersatzdienst mußte er leisten. Im Sport ist er von größeren Verletzungen verschont geblieben. Dann hat ihn die schönste Frau, die er in seinem Leben getroffen hat, geheiratet. Sie führen mit ihrem Sohn ein glückliches Familienleben, bewohnen ihr persönliches Traumschloß. Sein Beruf könnte genauso gut sein Hobby sein. Und wenn er mal einen zu viel trinkt, ist selbst das halb so schlimm, weil es irgendwie zum Job gehört. Er liebt dieses Leben.
Und jetzt setzt er alles wegen eines kleinen Beutels mit Münzen aufs Spiel. Seinen Job, seine gesellschaftliche Stellung, auch Marie würde kaum verstehen, warum er so etwas hinter ihrem Rücken tun konnte.
Zuhause ist die Einfahrt leer, in der Küche steht eine zweite Kaffeetasse auf der Spüle, und die Zeitung ist abgeräumt.
»Philipp, weiß du, wo die Mama ist?« Jo muß gegen die Musik anschreien, als er ins Zimmer seines Sohnes schaut.
»Nein.« Auf dem Monitor tritt Philipps Spieler mit geschickter Drehung zwei Angreifern gegen die behelmten Köpfe.
»Wann war sie da?« Jo dreht die Musik leiser.
»Wer?«
Jo lehnt sich an den Türrahmen. »Von wem haben wir denn gerade gesprochen?«
»Soll das ein Quiz sein?« Jetzt muß sich Philipps Spieler ducken, die Kerle beschießen ihn aus Strahlenpistolen.
»Na, Mama natürlich, wann war sie da, und hat sie gesagt, wann sie wiederkommt?«
»Scheiße«, sein Mann explodiert. »So weit war ich noch nie gekommen. Du hast mich rausgebracht, Papa!« Philipp haut auf den Joystick, es ist eher ein Klaps, das Ding soll ja noch für die nächsten Kämpfe zu gebrauchen sein.
»Kannst du mir jetzt antworten, oder müssen wir den Knaben noch zu Grabe tragen?«
»Keine schlechte Idee, Papa, das fehlt noch im Programm, ein virtueller Friedhof.«
»So, kann ich jetzt bitte eine Antwort haben?«
»Sie ist einkaufen oder so.«
»Danke.« Kaum hat Jo die Tür zugemacht, wird drinnen die Musik wieder aufgedreht.
Auf dem Anrufbeantworter ist eine Nachricht: Zelig bittet um Rückruf.
»Ja, Zelig«, die Stimme hat gegenüber dem samstäglichen Treffen deutlich an Festigkeit gewonnen.
»Ganz, guten Tag, Sie baten um Rückruf, Herr Zelig?«
»Danke, Herr Ganz, wir müßten uns nochmals sehen, können Sie ins Museum kommen?«
»Wann?«
»So bald wie möglich, am liebsten sofort.«
»Ich bin gerade aus der Stadt gekommen, meine Frau ist nicht da. Ist das wirklich nötig?«
»Ja, es hat sich etwas ergeben.«
»Warten Sie mal … der nächste Bus müßte in zwanzig Minuten fahren.«
»Wann könnten Sie hier sein?«
»In einer dreiviertel Stunde.«
»Gut, bis dann.«
Was hat das nun wieder zu bedeuten? Jo eilt in die Küche und nimmt den Zeichenblock aus dem Regal. Dann stellt er einen Teller, der unter einem Blumentopf steht, in den offenen Kamin. Er zerknüllt die Blätter mit der Schraffur der Münzen und zündet sie an. Nach und nach legt er die Bilder vom Münzschatz obendrauf. Zum Schluß verbrennen die Negative in einer hohen Flamme. Er trägt den Unterteller in den Garten und schüttet die Asche auf den Kompost.
*
Doris dreht ihren Wohnungsschlüssel zweimal und betritt die Diele. Es riecht nicht gut. Als sie ins Wohnzimmer tritt, kann sie einen Aufschrei nicht unterdrücken. Das Zimmer ist verwüstet. Der Fußboden von Büchern, CDs, Papieren, Schaumstoffpartikeln, Erde und sonstigem Kram übersät. Schnell weicht sie in die Diele zurück und blickt sich nach allen Seiten um. Sie macht die Wohnungstür weit auf und lauscht. Es ist still. Sie läßt die Tür aufstehen, um sich oder – falls er noch hier sein sollte – dem Einbrecher den Fluchtweg offen zu lassen, und geht ins Wohnzimmer zurück.
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