Akte Mosel
und hat mich erschreckt.«
»Darf es doch gar nicht.«»Deshalb habe ich nicht damit gerechnet …«
»Hast du das Kennzeichen?« fragt Jo.
»Sie haben angehalten und sich entschuldigt.« Doris öffnet die Packungen und verteilt das Essen auf die Teller.
»Und du, was ist mit dir?« sagt Walde, der Doris davon abhält, ihm noch mehr auf den Teller zu häufen.
»Ich habe keinen Appetit.«
»Soll das heißen, du besorgst uns unter Einsatz deines Lebens ein Abendessen und willst selbst nichts anrühren?«
Jo hat sein Besteck durch zwei Stäbchen aus einem Tonkrug auf der Arbeitsplatte ersetzt und hält den Teller dicht an den Mund.
»Wenn ich es so wie du mache, ist das Stäbchenessen keine Kunst«, bemerkt Walde.
»Was hast du, die Chinesen schaufeln genauso, die haben doch auch keine Zeit, ein Reiskorn nach dem anderen zu picken, die essen sogar Suppe mit Stäbchen …«
»… und fahren demnächst mit dem Fahrrad zum Mond«, unterbricht Walde. »Ich weiß, du warst ja schließlich schon da, ich meine, nicht auf dem Mond, in China, du bist Experte.«
Doris stochert in ihrem Essen, es schmeckt wie eine Mischung aus faulem Gras und Styropor.
Das Telefon klingelt. Als Doris zurückkommt, schenkt Jo Wein nach: »Schmeckt ausgezeichnet. Doris, was ist los?«
»Ich bin beim Joggen gestürzt.«
»Hast du dich verletzt?«
»Nein, nur ein paar blaue Flecke, ein Motorrad …«
Jo unterbricht sie: »Schon wieder ein Motorrad und obendrein im Wald, oder bist du auf der Straße gelaufen, ist man denn nirgends mehr vor diesen Heinis sicher? Hast du denn von dem die Nummer oder hat der sich auch entschuldigt?«
»Hat er nicht«, Doris schüttet ihr Essen in den Katzennapf und geht in die Küche: »Einen Kaffee?«
»Wie ungemütlich«, beschwert sich Jo: »Wir sind doch noch beim Essen und du räumst schon den Tisch ab. Für mich keinen Kaffee, mein Bus geht bald, aber Kollege Walde scheint Interesse zu signalisieren.«
»Jetzt weiß ich auch, warum du aus den Rebläusen nichts rauskriegst, wenn du immer gleich so viele Fragen auf einmal stellst«, bemerkt Walde.
»Darf ich mal?« Jo greift nach Waldes linkem Arm und zieht ihn zu sich rüber, um auf die Armbanduhr zu schauen.
»Warum fragst du nicht?«
»Ich höre nicht gerne zu, wenn jemand mit vollem Mund spricht. Tut mir leid, es wird Zeit für mich.« Jo steht auf, packt seinen Rucksack und schultert das Vierkantrohr: »Doris, du weißt ja, wie alles funktioniert, und vergiß nicht, den Riegel vorzuschieben, Walde hilft bestimmt beim Abwasch!« Er drückt Doris einen Kuß auf die Wange und geht.
Schweigend räumen Walde und Doris den Tisch ab. Als Walde gehen will, hat Doris bereits zwei Tassen Kaffee eingeschenkt. Auf dem Balkon drehen sie ihre Stühle zum Geländer und schauen auf den in der einsetzenden Dunkelheit verschwindenden Garten. Doris hat Michel Petrucciani aufgelegt, hier draußen ist die Musik nur leise zu hören. Zwei Vögel führen eine abendliche Zwiesprache. Eine Schwade Rauch zieht vorüber.
Doris bricht das Schweigen: »Wird wohl in der Nähe gegrillt.«
»Was hast du gesagt?«»Es grillt jemand hier in der Nähe.«
Walde fragt: »Hat die Geschichte mit dem Motorrad was mit dem Einbruch zu tun?«
Doris seufzt: »Wie kommst du darauf?«
»Ich spüre, wenn jemand Angst hat.«
Doris antwortet nicht, Petruccianis freundliches Spiel steht im krassen Gegensatz zu ihren Gefühlen. Das ferne Knattern eines Mopeds erinnert sie an den Nachmittag. Kann es noch schlimmer kommen, wenn sie Walde einweiht?
»Hast du jemand, der Bescheid weiß und dir beisteht?« Walde schaut in den dunklen Garten.
»Ich war heute beim Anwalt, aber … das hat nicht geklappt.«
»War die Geschichte mit dem Motorrad im Wald kein Zufall?«
»Nein, auf keinen Fall, ich glaube, ich habe den Typ erkannt.«
»Wer war es?«
»Einer von den Leuten meines alten Chefs, der arbeitet auf dem Reiterhof und hilft beim Eintreiben der Mieten et cetera aus.«
»Und warum war er hinter dir her?«
»Das war sicher in Räumers Auftrag.«
»Der mit den Immobilien und dem Möbelladen …«
»… und dem Pferdehof und der Reinigung, wobei letztere Schnee von gestern ist.«
»Darf ich fragen, was du ihm getan hast?«
Der Mond lugt hinter den Dächern hervor und wird schnell zu einer großen, gelben Scheibe.
»Eigentlich überhaupt nichts, außer ein paar Jahre für ihn zu schuften. Naja, ich habe zuletzt einen Tisch in seinem Büro umgeworfen und heißen Kaffee über seine
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