Akte Mosel
bitte um Walde.«
Als Doris gegangen ist, nehmen Jo und Walde am gedeckten Balkontisch Platz. Jo holt ein Glas und einen weiteren Teller aus der Küche und schenkt Walde ein.
»Danke Jo, was macht die Reblaus?«
»Und du sagst es niemandem weiter?« fragt Jo.
»Großes Ehrenwort«, Walde hält Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger der rechten Hand in die Höhe.
»Ich mußte sie mangels Beweisen freilassen. Nirgendwo steht geschrieben, wo das zu geschehen hat. Deshalb schenke ich ihnen in der Regel in meinem Revierhof die Freiheit. Meines Wissens hat es noch keine geschafft, wieder in einen Weinberg zu gelangen. Entweder werden sie von Fußgängern zertreten oder auf der Straße überfahren.«
»Das ist ja Selbstjustiz!« Walde trinkt einen großen Schluck, lehnt sich zurück und genießt einen kühlenden Windstoß.
»Was soll ich machen, sollen wir uns ohne Gegenwehr die guten Trauben wegfressen lassen? Also, wenn es um den Schutz des Weines geht, ist mir jedes Mittel recht, auch das, meine Mitbürger, besonders die mit überdurchschnittlicher Schuhgröße, als Todesschwadrone zu gebrauchen.«
Jo schenkt wieder Wein nach und stellt die leere Flasche neben das Balkongeländer.
Doris nimmt den Umweg durch die belebtere Fußgängerzone zum Chinesen an der Basilika. Sie hat zuhause ein Glas Wein getrunken. Während der Wartezeit beim Chinesen bekommt sie einen Pflaumenwein serviert. Das gibt ihr den Mut, den Rückweg über den menschenleeren Domfreihof einzuschlagen. Ihr ist unbehaglich zumute, als spüre sie einen Blick auf ihrem Rücken. Schnell geht sie zwischen den Absperrpfosten in die Gasse Sieh um Dich. Unwillkürlich schaut sie zurück. Am anderen Ende des Platzes werden vor einem Weinlokal Stühle zusammengekettet. Sie wechselt die übereinandergestapelten Essenskartons in die linke Hand und dreht in der rechten das Tränengas in Position. Sie hätte Walde bitten sollen, sie zu fahren. Ihr Fiat steht im Parkhaus. Es ist ihr sehr schwer gefallen, ihn heute dorthin zu bringen. Sie kann sich im Moment nicht vorstellen, den Wagen so bald wieder dort abzuholen. Von hinten bläst ein leichter Wind. Cellophan und Papierschnipsel werden über den Boden gewirbelt. Plötzlich knattert ein Motorrad. Von den eng zusammenstehenden Mauern hallt der Lärm zurück. Doris wirft sich mit dem Rücken gegen die Mauer. Die Schulter, auf die sie am Nachmittag gestürzt ist, schmerzt höllisch. Die Kartons mit dem Essen fallen auf das Pflaster. Das Motorrad hält an. Es sind zwei. Der Sozius steigt ab und kommt auf sie zu. Die Maschine knattert weiter. Doris drückt sich von der Wand ab und hebt die rechte Hand mit dem Spray.
Der Sozius bleibt stehen und nimmt den Helm ab: »Entschuldigung, kann ich Ihnen helfen?« Er ist kaum 20 Jahre alt. Als Doris den Arm sinken läßt, bückt er sich und sammelt die Schachteln mit den verschiedenen Gerichten vom Boden auf und reicht sie Doris.
Als sie die Dielentür schließt, lehnt sie sich zurück. Die beiden auf dem Balkon haben sie scheinbar nicht gehört. Jo sagt gerade: »Geraldine Chaplin, Mia Farrow oder Catherine Deneuve sind für mich nur zweidimensionale Filmgestalten, ich habe das Gefühl, irgendwie immer für die unberührbaren Frauen geschwärmt zu haben. Schwärmen ist wirklich das richtige Wort, da war und ist kein Sex im Spiel.«
»Das sehen aber manche ganz anders.«
»Bei Mia Farrow waren das aber höchstens der Teufel oder Woody Allen.«
»Du vergißt Frank Sinatra«, bemerkt Walde.
»Der war doch auch schon ein alter Mann, so wie Carlos Saura bei Geraldine Chaplin.«
»Und die Deneuve?« fragt Walde, dreht die Flasche und studiert das Etikett.
»Eine schöne Frau, so würde wahrscheinlich heute die Jungfrau Maria aussehen! Fällt dir eine Sexszene mit der Deneuve ein? Mir auch nicht. Auch wenn es so im Drehbuch stand, kam sie für mich nie als solche rüber, auch nicht in ’Belle de jour’. Abgesehen davon, daß ich schon lange nicht mehr im Kino war und zu Hause normalerweise keinen Fernseher anschalte. Und das ganz ohne anthroposophischen Hintergrund. Die vergeudeten Stunden vor der Glotze setze ich anders ein. Da helfe ich lieber mal Philipp bei den Hausaufgaben oder verwöhne Marie …«
Doris löst sich von der Tür und geht durch die Küche auf den Balkon.
»Was hast du denn damit gemacht?« sagt Jo, der Doris einen eingedrückten Karton abnimmt und auf den Tisch stellt.
»Ist mir hingefallen. Ein Motorrad ist durch die Sieh um Dich gedüst
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