Akte Mosel
brauchten Hilfe, bloßes Wegsperren bis zu lebenslänglichen Haftstrafen seien seiner Meinung nach keine Lösung. Manchmal vielleicht doch, denkt Walde.
Walde legt Fleetwood Mac in den Walkman. Noch ein, zwei Wochen, dann ist das hier vorbei.
Das Telefon auf seinem Nachtschrank klingelt. Es ist Anna.»Wie geht’s?« Ihre Stimme klingt kühl.
»Besser, der Schlauch ist raus.« Walde hört keine Reaktion. »Hallo, bist du noch da?«
»Ich habe Haare gefunden …«
»Welche Haare?«
»Im Bad und … im Bett. Du bist ein feiger Widerling …« Sie legt auf.
Walde versucht, sie zurückzurufen. Erst in Trier, dann in Villingen. Dort bleibt ihr Anschluß besetzt. Wahrscheinlich hat sie den Hörer neben das Telefon gelegt.
Er hat Durst, aber keine Lust auf Tee oder Sprudel, eher auf ein Bier, aber Klaus möchte er nicht fragen.
In der Nacht wird Walde wach. Die Lichter der Stadt erhellen das Zimmer. Er hört das Schnarchen seines Zimmergenossen, der wie Walde seit einer Woche auf dem Rücken liegend schlafen muß. Klaus murmelt im Schlaf. Walde ist jetzt hellwach und spitzt die Ohren. Im Bett an der Tür raschelt wieder das Bettzeug.
»Net … laß’ mich …«
Mehr kann Walde nicht verstehen. Das Atemgeräusch wird wieder ruhiger.
Am frühen Sonntagnachmittag frischt Klaus’ Besuch den Biervorrat auf. Nachdem sie die leeren Flaschen in ihren Taschen verstaut haben, lassen sich drei ältere Frauen an seinem Bett nieder. Klaus verfolgt ungerührt ein Formel-1-Rennen am Fernseher.
»Schönen Gruß von der Oma, sie ist zu Hause geblieben, das Wetter macht ihr zu schaffen.«
Klaus nickt.
»Wie geht es dir denn heute?«»Wie … gestern«, während Klaus die Worte herauspreßt, guckt er weiter in die Röhre.
»Wir haben Brötchen mit kaltem Braten dabei.«
»Nä«, Klaus schüttelt den Kopf.
»Ich stell’ sie dir hier hin.«
Damit ist die Konversation mit dem Patienten für’s erste erschöpft. Die Frauen unterhalten sich gedämpft miteinander. Ab und zu schaut eine zum Fernseher oder zu Walde, der mit übergezogenen Kopfhörern ohne Ton vorgibt, in einem Buch zu lesen.
Als die Frauen aufbrechen, hört Walde, wie eine – wer die Mutter ist und wer die beiden Tanten sind, bleibt ihm verborgen – sich bei Klaus nach Waldes Krankengeschichte erkundigt.
Walde tippt Doris’ Nummer ins Telefon: »Hallo, hier ist Walde, wie geht’s.«
»Bist du schon aus dem Krankenhaus?«
»Nein, aber nicht mehr auf Intensiv. Was machst du?«
»Robby holt mich gleich ab. Wir gehen zum Orgelkonzert in die Basilika.«
»Das mit letztem Samstag tut mir leid. Hat man dir Bescheid gesagt?«
»Marie hat’s mir erzählt, hat sie dir Grüße von mir ausgerichtet?«
»Ja, danke.«
»Wenn du willst, komme ich dich besuchen.«
»Ich würde mich freuen!«
»Also bis dann.« In dem Moment, wo er auflegt, bemerkt er, daß er ihr weder Station noch Zimmernummer gesagt hat. Walde verzieht das Gesicht. *
*
Etwas fällt hell klingend zu Boden. Klaus reckt sich aus dem Bett und scharrt mit einer zusammengerollten Zeitung über den Boden.
»Warte, ich guck mal«, sagt Walde und steht aus seinem Bett auf.
»Da … unten … iss’ se«, Klaus’ Sprache stockt. Er deutet unter das leere Bett in der Zimmermitte.
Walde hebt eine lange Stricknadel auf: »Was strickst du denn?«
»Nix, die iss … wegen dem Jucken.«
Klaus faßt den Holzgriff und stochert mit der Nadel im Gips.
Walde schaut zum Fernseher: »Wo ist Schumi gelandet?«
»Zweiter, er hat ihn am Schluß … net vorbeigelassen.« Wer wen behindert hat, läßt Klaus offen. Bei manchen Worten stockt er lange. »Ich hat’ Karten … aber …«, er deutet auf sein Gipsbein.
Walde nickt: »Bist du sie noch losgeworden?«
»Weiß net … der Meister wollt’ gucken.«
»Was ist mit deinem Bein?«
»Ich krinn … bald Gehgips … un bei dir?«
»Rippen und Schulter«, Walde deutet auf die Verbände, die sich deutlich auf der rechten Seite unter dem Schlafanzug abzeichnen. »Und der Arm hat gehalten?« Walde deutet auf Klaus’ verschrammten linken Arm.
»Dat war … davor … mit dem Mofa … auf der … Trepp’.«
»Auf welcher Treppe?«
»Och … ist doch … egal … Trinken wir einen auf den …Schumi?« Klaus deutet auf seinen Biervorrat.
Walde setzt sich neben sein Bett und stößt mit Klaus an, der durch das Programm zappt. Später bleibt er an einer Nachrichtensendung hängen, die über das Rennen berichtet.
»Dat war die … Entscheidung«,
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