Akte Mosel
aufzupassen!« Doris sagt es, ohne Walde anzusehen.
Walde nickt, er hat auf einmal heftiges Herzklopfen: »Du auch.«
Ein eng umschlungenes Paar geht vorbei. Sie im langen Bademantel, er hat ein Handy auf’s Ohr gedrückt.
Lange Zeit beobachten Walde und Doris schweigend, wie die Sonne untergeht und die Färbung des Himmels von zartem Rosa in Blau wechselt. Der nach dem Mähen in dünnen Streifen liegen gebliebene Rasen duftet schwach.
Vor ungefähr 20 Jahren hat Walde so mit einem Mädchen auf einer Bank im Stadtpark gesessen und war keinen Deut weniger aufgeregt.
Walde schließt die Augen und tastet nach Doris’ Hand. Er streicht mit den Fingerkuppen über ihren kleinen Finger und den Ringfinger. Als er ihren Daumen an seinem Handrücken spürt, weiß er zuerst nicht, ob er es sich nur einbildet. So leicht ist die Berührung. Dann dreht sie ihre Hand, und ihre Finger tasten sich gegenseitig ab. Doris hält ebenfalls ihre Augen geschlossen. Waldes Finger streifen über den Ballen ihres Daumens, gleiten dann in ihre Handfläche und an den Fingern herunter, wobei er sie an den Seiten abtastet. Seine Berührungen lassen ihr einen Schauer über den Rücken laufen.
Walde kann nicht genug kriegen von dieser Hand. Er würde sie gerne an seine Lippen führen. Das Pochen in seiner Schulter sagt ihm unmißverständlich, daß das nicht möglich ist.
Jetzt erkundet Doris seine Hand. Die langen Finger sind weicher, als sie erwartet hat, die Nägel sind kurz geschnitten. Auf den Kuppen von Zeige- und Mittelfinger ist Hornhaut. Die Ader auf dem Handrücken teilt sich wie ein Ypsilon. Die Härchen sind so kurz, daß sie sie kaum mit Daumen und Zeigefinger zu fassen kriegt. Sie beugt sich darüber und hebt die Hand vorsichtig zu ihrem Mund.
Walde holt tief Luft. Der erwartete Schmerz bleibt aus. Er spürt ihre Lippen an den Mittelgelenken der Finger und dann ihre Zähne, wie sie an der Haut über den Gelenken knabbern. Dann fahren ihre Lippen über seinen Handrücken. Sie wendet den Kopf und streicht mit ihrer Wange an der Hand vorbei und läßt sie wieder vorsichtig herunter.
»Mußt du nicht zurück?« fragt sie. Walde öffnet die Augen. Hinter den Fenstern an der großen Fassade des Krankenhauses brennt Licht.
»Ich weiß nicht«, er räuspert sich, »wie lange ich Ausgang habe.«
Vor dem Fahrstuhl im Parterre küssen sie sich. Doris wendet sich zum Gehen: »Besser, wir riskieren keine Tour mit dem Fahrstuhl, tschüß.«
»Kommst du bald wieder?« Walde sieht ihr nach.
Bevor ihre wippende Gestalt aus seinem Sichtfeld verschwindet, dreht sie sich um und nickt ihm lächelnd zu.
Klaus schaut Walde gequält an. Erst im Zimmer wird Walde klar, warum. Klaus hat einen Topf unter sich.
»Sorry, ich gehe noch mal raus«, sagt er und dreht sich um.
Walde wartet im Gang. Nachdem eine Schwester im Zimmer war, geht er wieder hinein.
»Alles in Ordnung?«
»Nee, die machen mir … morgen nen … Einlauf.«
»Verstopfung?«
Klaus nickt.
Beim Ausziehen schmerzen Wunde und Rippen. Er legt eine Kassette in den Walkman und bringt ihn zu Klaus rüber: »Hör dir das mal an, eine alte Supertramp!«
Klaus nimmt den Kopfhörer, ohne seine mißmutige Miene zu verlieren. Er öffnet seinen Nachtschrank und tauscht eine leere Bierflasche gegen eine neue. Seit gestern hat er gut ein Dutzend Flaschen geleert.
»Du hast ja mächtig Durst!« bemerkt Walde.
»Iss von der Arbeit … vom Backen.«
»Bist du Bäcker?«
Klaus nickt: »Und … du?«
»Polizist«, fast hätte Walde „Bulle“ gesagt. »Was hat das Saufen, ich meine der Durst, mit der Arbeit zu tun?«
»Über 40 Grad am Ofen … dat gibt Durst.«
Walde hat den Eindruck, daß Klaus heute mehr als sein normales Pensum getrunken hat, und vermeint, neben dem stockenden Sprechen auch ein leichtes Lallen zu hören.
»Bier bei der Arbeit?«
»Iss normal.« Klaus nimmt eine weitere Flasche aus dem Schränkchen und reicht sie Walde rüber: »Was machste bei den … Bullen?«
»Morde.« Walde beobachtet Klaus, der keine Miene verzieht.
»Prost!« Sie stoßen an.
»Ich wollt’ net weit weg«, sagt Klaus. »Da sinn ich bei uns zum Bäcker.«
Walde schweigt.
»Als ich dat erste Mal zur Berufsschul mußt’ … da hat et … angefangen?«
Walde ist hellwach: »Was?«
»Ich wollt’ en Fahrkart kaufen und hab’ … kein Wort mehr … rausgekriegt.«
»Und dann?«
Klaus zuckt mit den Schultern.
»Bist du denn noch zur Schule gegangen?«
Klaus winkt ab.
»Ich dachte,
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