Akte Weiß: Das Geheimlabor, Tödliche Spritzen
in seinem Büro, angeblich um Papierkram aufzuarbeiten. Seine Angestellten waren schon fort. Seine Frau sagte, dass er häufiger spät heimkam. Aber sie unterstellte, dass es keine Büroarbeit war, die ihn aufhielt.”
„Eine Freundin?”
„Was sonst?”
„Kannte die Frau den Namen?”
„Nein. Sie vermutete, dass es eine der Schwestern drüben aus dem Hospital war. Jedenfalls wurde er gegen sieben an dem Abend von zwei Pförtnern tot in einem der Untersuchungszimmer gefunden. Zuerst dachten wir, der Täter wäre ein Junkie, der Drogen gesucht hatte. Es fehlten tatsächlich ein paar Sachen aus dem Schrank, aber eigentlich wertloses Zeug, das man nicht auf der Straße verkaufen konnte. Wir dachten, der Täter wäre entweder blöd gewesen oder hätte schon unter Drogen gestanden. Aber immerhin war er klug genug, keine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Es gab keine weiteren Spuren, und wir landeten in einer Sackgasse.”
Nach einer kurzen Pause fuhr Pokie fort: „Lediglich einem der Pförtner war etwas aufgefallen. Als er ins Gebäude kam, sah er eine Frau, die quer über den Parkplatz lief. Es nieselte, und es war fast dunkel, sodass er sie nicht richtig erkennen konnte. Aber es war bestimmt eine Blondine.”
„War er sicher, dass es eine Frau war?”
„Sie meinen, oder ein Mann mit Perücke?” lachte Pokie. „Daran habe ich noch nicht gedacht. Aber es wäre möglich.”
„Wohin führte diese Spur?”
„Nicht weit. Wir hörten uns um, fanden jedoch nichts heraus. Dann wurde Ann Richter getötet, sie war blond.” Er drückte die Zigarette aus. „Kate Chesne ist unser erster Zeuge. Jetzt wissen wir zumindest, wie der Mann aussah. Am Montag erscheint seine Skizze in der Zeitung. Vielleicht erfahren wir dann Namen.”
„Wie beschützen Sie Kate?”
„Sie ist am North Shore versteckt, eine Patrouille fährt alle paar Stunden dort vorbei.”
„Ist das alles?”
„Da oben findet sie keiner.”
„Ein Profi schon.”
„Was soll ich tun? Ihr eine Leibwache stellen?” Er deutete auf den Stapel Unterlagen auf seinem Tisch. „Sehen Sie sich die Akten an, Davy. Ich stecke bis zum Hals in Arbeit. Ich bin schon froh, wenn mal eine Nacht ohne Leichenfund vergeht.”
„Profikiller hinterlassen keine Zeugen.”
„Ich bin nicht überzeugt, dass es das Werk eines Profis war. Außerdem wissen Sie, wie knapp unser Budget ist. Sehen Sie sich diesen Mist an.” Er trat gegen den Tisch. „Zwanzig Jahre alt und voller Termiten. Gar nicht zu reden von dem alten Computer. Ich muss Fingerabdrücke nach Kalifornien schicken, wenn ich sie schnell identifiziert haben will.” Frustriert wippte er in dem zwanzig Jahre alten Sessel zurück. „Schauen Sie, Davy, ich bin einigermaßen überzeugt, dass sie in Sicherheit ist. Ich würde es Ihnen gerne garantieren, aber Sie wissen, wie das ist.”
Ja, dachte David, ich weiß, wie das ist. Manches in der Polizeiarbeit ändert sich nicht. Zu viele Anforderungen und zu wenig Geld. Er wollte sich gern einreden, dass er rein berufliches Interesse an Kate hatte, doch er musste immer daran denken, wie verletzlich sie in ihrem Krankenbett gesessen hatte.
David hatte lange genug mit Pokie Ah Ching gearbeitet, um zu wissen, dass er ein kompetenter Polizist war. Doch auch den besten unterliefen Fehler. Und Polizisten hatten mit Ärzten eines gemein: Sie begruben ihre Fehler.
Die Sonne beschien Kates Rücken und machte sie schläfrig. Sie lag im Sand, das Gesicht auf den angewinkelten Arm gelegt. Wellen umspülten ihre Füße, während der Wind die Seiten ihres Taschenbuches umblätterte. An diesem einsamen Stück Strand, an dem man nur die Vögel zwitschern und die Bäume in der Brise rascheln hörte, konnte man sich erholen.
Kate wurde immer wacher, da der Wind an ihren Haaren zerrte. Außerdem regte sich ein Hungergefühl. Sie hatte seit dem Frühstück nichts gegessen, und es war fast Abend. Sie freute sich auf ein ruhiges Abendessen.
Die Ahnung, nicht mehr allein zu sein, ließ sie plötzlich hellwach werden. Kate richtete sich auf und entdeckte David Ransom. Er stand in Jeans und Baumwollhemd, dessen Ärmel er hochgekrempelt hatte, neben ihr und betrachtete sie.
„Sie sind schwer zu finden”, meinte er.
„Das ist Absicht, wenn man sich versteckt.”
Er sah sich um. „Aber es ist wohl keine gute Idee, sich hier ins Freie zu legen.”
„Sie haben recht.” Kate stand auf. Obwohl ihr Badeanzug nicht aufreizend war, schlang sie sich das Badetuch um den Körper.
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