Akte Weiß: Das Geheimlabor, Tödliche Spritzen
angestellt.”
„Es ist nicht so schlimm. Ich helfe Ihnen, es aufzuwischen.”
Während Kate mit einer Hand voll Zellstofftüchern aus dem OP die Scherben aufnahm, stand er nur da und starrte zu Boden. Er war ihr noch nie so alt und zerbrechlich vorgekommen. Seine weißen Haare schienen auf dem Kopf zu zittern, und sie bemerkte, dass er eine weiße und eine blaue Socke trug. Kate nahm eine größere Scherbe der Ampulle in die Hand, auf der noch das Etikett klebte.
„Das Narkotikum ist für meine Hündin”, erklärte Dr. Avery schwach. „Sie ist sehr krank.”
Kate sah ihn nur an. „Tut mir Leid”, war alles, was sie dazu hervorbrachte.
Mit gesenktem Kopf fuhr er fort: „Ich muss sie einschläfern. Sie wimmert schon den ganzen Morgen, und ich kann es nicht mehr mit anhören. Außerdem ist sie schon sehr alt. Es erscheint mir grausam, es vom Tierarzt machen zu lassen. Er ist ihr fremd, sie würde sich fürchten.”
Kate erhob sich. „Sicher wäre der Tierarzt freundlich zu ihr. Sie müssen es nicht selbst tun.”
„Aber ich glaube, es ist besser, wenn ich es selbst mache und mich von ihr verabschiede.”
Kate ging, holte aus dem OP eine neue Ampulle und gab sie ihm. „Hier, das sollte genügen.”
Er nickte. „Sie ist nicht sehr groß.” Dann seufzte er zittrig und wandte sich zum Gehen. Nach wenigen Schritten blieb er stehen und blickte zurück. „Ich habe Sie immer gemocht, Kate. Sie sind die Einzige, die nicht hinter meinem Rücken über mich gelacht hat oder dauernd Anspielungen fallen ließ, dass ich alt sei und zurücktreten solle.” Er schüttelte müde den Kopf. „Aber vielleicht haben die anderen recht.” Im Hinausgehen hörte sie ihn noch sagen: „Ich tue für Sie, was ich kann, bei der Anhörung.”
Während seine Schritte verhallten, blickte Kate auf die Scherben der Ampulle im Abfallkorb. Das Etikett sprang ihr geradezu ins Auge. Ein Narkotikum, dachte sie stirnrunzelnd. Wenn man zu viel davon spritzte, war es ein tödliches Gift und führte zu plötzlichem Herzstillstand. Und womit man einen Hund töten konnte, damit konnte man auch einen Menschen umbringen.
Die Aufsichtsschwester in Station 3 B saß vorgebeugt und völlig in einen Liebesroman vertieft an ihrem Tisch. Sie bemerkte nicht einmal, dass David an ihr vorbeiging. Erst als er neben ihr stand, blickte sie auf, errötete und klappte schamhaft das Buch zu.
„Oh, kann ich Ihnen helfen, Doktor …?”
„Smith”, stellte er sich vor und lächelte sie so strahlend an, dass sie völlig hingerissen schien. Junge, Junge, dachte er, während er in zwei schöne dunkelblaue Augen blickte, so ein Arztkittel hat’s aber in sich. „Ich müsste eine der Patientenkarteien sehen.”
„Welche?” fragte sie atemlos.
„Raum …” Er blickte auf die Karteiboxen. „8 B.” „Mrs. Loomis?”
„Ja, das ist der Name.”
Die Schwester erhob sich und schwebte geradezu zum Karteikasten. Dort brauchte sie ungewöhnlich lange, um Raum 8 B zu finden, obwohl er direkt vor ihr stand. David betrachtete unterdessen den geschmacklosen Einband des Romans und hätte fast gelacht.
„Hier ist sie”, säuselte die Schwester und hielt ihm die Kartei mit beiden Händen hin wie einen Kultgegenstand.
„Danke, Miss …”
„Mann, Janet.”
Er räusperte sich, wandte sich ab und ging zu einem Sessel, der sehr weit weg war von Miss Janet Mann. Er hörte sie enttäuscht seufzen, als sie sich dem klingelnden Telefon zuwandte.
„Ich bringe sie sofort runter”, sagte sie in den Hörer, nahm dann einige Ampullen mit Blut von einem Tablett und verschwand. David blieb allein zurück.
So einfach ist das also, dachte er und blätterte die dicke Kartei der unglücklichen Mrs. Loomis durch, die ein komplizierter Fall zu sein schien, gemessen an den vielen Ärzten, die sie behandelten. Er musste an das Sprichwort von den vielen Köchen denken, die den Brei verderben, und fürchtete, dass Mrs. Loomis keine Chance hatte.
Eine Krankenschwester rollte ein Medikamentenwägelchen vorbei. Eine andere ging ans Telefon und verschwand dann wieder. Keine von beiden schenkte ihm Beachtung.
David nahm den EKG-Streifen heraus, der hinten in der Kartei lag. Der Täter brauchte höchstens zehn Sekunden, um das Original gegen eine Fälschung zu tauschen. Und da so viele Ärzte hier ein- und ausgingen, sechs allein für Mrs. Loomis aus Raum 8 B, würde niemand etwas bemerken.
Ein Betrug dieser Art war wirklich simpel, man brauchte nichts weiter als einen weißen
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