Akte Weiß: Das Geheimlabor, Tödliche Spritzen
Kittel.
9. KAPITEL
I ch denke, wir haben heute Abend deine Theorie von einem Mord im OP bewiesen”, sagte David und stellte zwei Gläser heiße Milch auf den Küchentisch.
„Bewiesen haben wir nur, dass Dr. Avery einen kranken Hund hat”, widersprach Kate. „Armer alter Dr. Avery. Ich habe ihn zu Tode erschreckt.”
„Das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit. Hat er überhaupt einen Hund?”
„Er würde mich nicht anlügen.”
„Ich frage nur. Schließlich kenne ich den Mann nicht.” Er trank einen Schluck Milch. Die Bartstoppeln in seinem Gesicht waren inzwischen deutlich sichtbar. Sein Hemd war zerknittert, und er hatte es am Hals geöffnet. Dabei kam etwas von der dunkelblonden Brustbehaarung zum Vorschein.
Kate starrte in ihr Glas. „Ich bin ziemlich sicher, dass er einen Hund hat. Ich meine mich zu erinnern, dass auf seinem Schreibtisch ein Foto von seiner Frau mit einem bräunlichen Terrier steht. Seine Frau war eine Schönheit. Vor einigen Monaten erlitt sie einen Schlaganfall, und es zerstörte den armen Mann fast, sie in einem Pflegeheim unterbringen zu müssen. Seither versieht er seine Pflichten wie in Trance.” Auch Kate trank einen Schluck und fügte hinzu: „Ich wette, er kann seinen Hund nicht einschläfern. Manche Menschen können keiner Fliege etwas zuleide tun.”
„Und andere sind eines Mordes fähig.”
Sie blickte ihn an. „Du denkst immer noch, dass es Mord war?”
Dass er eine Weile nicht antwortete, beunruhigte sie. Ließ ihr einziger Verbündeter sie im Stich? „Ich weiß nicht, was ich denken soll. Bisher habe ich mich auf meine Instinkte verlassen, anstatt auf Fakten. Aber damit kann ich vor Gericht nicht bestehen.”
„Oder vor einer Ärztekommission”, fügte sie niedergeschlagen hinzu.
„Deine Anhörung ist am Dienstag?”
„Und ich habe immer noch keinen Schimmer, was ich denen erzählen soll.”
„Kannst du nicht einen Aufschub erwirken? Dann sage ich alle anderen Termine ab. Vielleicht finden wir noch einen Beweis.”
„Meine Bitte um Aufschub wurde abgelehnt. Außerdem scheint es keine Beweise zu geben. Alles, was wir haben, sind einige Morde, die aber offenbar in keiner Verbindung zu Ellens Tod stehen.”
David lehnte sich versonnen zurück. „Und wenn die Polizei nun auf der falschen Fährte ist? Wenn Charlie Decker gar nicht der Täter war?”
„Sie haben seine Fingerabdrücke gefunden, David. Und ich habe ihn am Tatort gesehen.”
„Aber du hast nicht gesehen, wie er sie umbrachte.”
„Nein, aber wer sollte sonst ein Motiv haben?”
„Denken wir einmal darüber nach.” David schob den Salzstreuer in die Tischmitte. „Wir wissen, dass Dr. Tanaka ein sehr beschäftigter Mann war, womit ich nicht seine Praxis meine. Er hatte eine Affäre.”
David schob den Pfefferstreuer neben den Salzstreuer. „Möglicherweise mit Ann Richter.”
„Okay, aber was hat das mit Ellen zu tun?”
„Das ist die große Frage.” Er trommelte mit einem Finger auf die Zuckerdose.
„Eine Dreiecksgeschichte also”, meinte Kate stirnrunzelnd. „Vielleicht. Aber der Mann könnte auch ein Dutzend Geliebte gehabt haben, und jede von denen hatte möglicherweise wiederum einen eifersüchtigen Geliebten.”
„Das wird ja jede Minute wilder. Ärzte, die an jedem Finger eine Geliebte haben, also ich kann mir das nicht vorstellen.”
„So etwas passiert, und nicht nur in Krankenhäusern.”
„In Anwaltskanzleien auch, was?”
„Ich rede nicht von mir, aber wir sind alle nur Menschen.”
Kate musste lächeln. „Seltsam, als ich dich kennen lernte, kamst du mir nicht menschlich vor. Du warst eine Bedrohung, ein Feind, wieder so ein verdammter Anwalt.”
„Ein Erzschurke also.”
„Jedenfalls hast du die Rolle gut gespielt.”
„Vielen Dank”, erwiderte er ironisch.
„Aber inzwischen sehe ich dich nicht mehr so, seit …” Sie verstummte und blickte ihm in die Augen.
„Seit ich dich geküsst habe?” fragte er leise.
Kate stand plötzlich auf und brachte ihr Glas zum Spülbecken. Sie spürte, dass David sie leicht amüsiert beobachtete. „Es ist alles so kompliziert geworden”, seufzte sie.
„Weil ich menschlich bin?”
„Weil wir beide menschlich sind.” Ohne David anzusehen, spürte sie die erotische Spannung zwischen ihnen. Sie wusch das Glas aus und setzte sich wieder an den Tisch.
Augenzwinkernd meinte David: „Ich gebe gern zu, dass es unbequem ist, menschlich zu sein und ein Sklave all jener lästigen biologischen
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