Akte Weiß: Das Geheimlabor, Tödliche Spritzen
flatterten. „Nein, es ist mehr als das. Sie sind auf einer Art Rachefeldzug, um die gesamte medizinische Zunft auszurotten, nicht wahr?”
David erschrak über ihren Angriff. Er wollte ihren Vorwurf bestreiten, wusste jedoch, dass er der Wahrheit sehr nahe kam. Sie hatte seine alte Wunde gefunden und wieder geöffnet. „Die ganze Zunft ausrotten?” wiederholte er. „Dann lassen Sie mich Ihnen eines sagen, Doktor: Es sind die inkompetenten Leute wie Sie, die meinen Job so leicht machen.”
Kalte Wut blitzte in Kates Augen auf, und einen Moment fürchtete David, sie werde ihn ohrfeigen. Doch dann stieg sie rasch in ihren Wagen und setzte den Audi so heftig aus der Parklücke zurück, dass David beiseite springen musste.
David Ransom blickte dem Wagen nach und bedauerte seine unnötig brutalen Worte. Aus reinem Selbstschutz war er Dr. Chesne so schroff begegnet. Ihre Anziehung auf ihn war so übermächtig geworden, dass er sie ein für alle Mal unterbinden wollte.
Als er sich zum Gehen wandte, fiel sein Blick auf einen silbernen Füller. Er musste unter den Wagen gerollt sein, als Kate die Tasche fallen ließ. David hob ihn auf und las den eingravierten Namen: Dr. Katharine Chesne.
Einen Moment wog er den Füller in der Hand und dachte an dessen Besitzerin. Ob sie daheim von jemandem erwartet wurde? Während er allein auf dem windigen Pier stand, wurde ihm bewusst, wie leer er sich fühlte.
Es hatte eine Zeit gegeben, da war er dankbar gewesen für diese Leere, weil er so keinen Schmerz empfand. Doch inzwischen wünschte er, wieder etwas fühlen zu können – irgendetwas –, wenn auch nur, um sich zu vergewissern, dass er noch lebte. Er wusste, dass er Gefühle hatte, doch sie waren irgendwo in ihm verschüttet. Allerdings hatten sie sich beim Blick in Kate Chesnes Augen zart geregt.
Dieser Patient war nicht tot. Noch nicht.
Lächelnd warf er den Füller hoch und fing ihn geschickt auf. Dann steckte er ihn in die Brusttasche und ging zu seinem Wagen.
Das Quietschen der zuschwingenden Tür zum Aufenthaltsraum für Ärzte ließ Dr. Guy Santini zusammenzucken. Schritte näherten sich. Guy blickte auf und entdeckte Ann Richter jenseits des Tisches. Stumm sahen sie sich einen Moment an.
„Wie ich sehe, sind Sie auch nicht zu Ellens Trauerfeier gegangen”, sagte er.
„Ich wollte, aber ich hatte Angst.”
„Angst?” wiederholte er stirnrunzelnd. „Wovor?”
„Tut mir Leid, Guy, ich habe keine Wahl mehr.” Sie hielt ihm einen Brief hin. „Er ist von Charlie Deckers Anwalt. Sie stellen Fragen nach Jenny Brook.”
„Was?” Er nahm den Brief. Was er las, machte ihn offenbar betroffen. „Sie werden nicht hingehen, oder? Sie können es denen nicht sagen.”
„Es ist eine Zwangsvorladung, Guy!”
„Dann lügen Sie, um Himmels willen!”
„Decker ist wieder frei, Guy. Das wussten Sie nicht, oder? Er wurde vor einem Monat aus dem Landeskrankenhaus entlassen. Er hat mich angerufen und einige Mitteilungen in meinem Apartment hinterlassen. Manchmal denke ich sogar, er verfolgt mich.”
„Er kann Ihnen nichts tun.”
„Nein?” Sie deutete mit dem Kopf auf den Brief in seiner Hand. „Henry hat genauso einen Brief bekommen und Ellen auch, kurz bevor sie …” Ann brach ab, als fürchte sie, ihre schlimmsten Ahnungen könnten Wahrheit werden, wenn sie sie aussprach. Erst jetzt merkte Guy, wie mitgenommen sie aussah. Unter ihren Augen lagen dunkle Ringe, und ihr aschblondes Haar, sonst ihr ganzer Stolz, schien seit Tagen nicht gekämmt worden zu sein. „Es muss ein Ende haben, Guy”, sagte sie leise. „Ich kann nicht für den Rest meiner Tage in Angst vor Charlie Decker leben.”
Er zerknüllte den Brief in seiner Hand. Aufgeregt, fast in Panik, begann er hin und her zu gehen. „Sie könnten die Insel verlassen …”
„Wie lange, Guy? Einen Monat? Ein Jahr?”
„So lange, bis die Lage sich beruhigt hat. Ich gebe Ihnen das Geld.” Er holte seine Brieftasche hervor und entnahm ihr fünfzig Dollar, alles, was er bei sich hatte. „Hier. Ich verspreche, ich schicke Ihnen mehr.”
„Ich will kein Geld.”
„Nehmen Sie es nur.”
„Ich sagte schon, ich will kein …”
„Um Himmels willen, nehmen Sie!” erwiderte er barsch vor Verzweiflung. „Bitte, Ann”, flehte er ruhiger. „Ich bitte Sie als Freund.”
Sie schaute auf das Geld in seiner Hand und nahm es zögernd. „Ich reise noch heute Nacht ab nach San Francisco. Ich habe dort einen Bruder …”
„Rufen Sie mich an, wenn
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