Akte X
Vorhaut.«
Scully sah, wie Mulder schwer schluckte. »Autsch.«
»Blut ist eine mächtige Kraft«, stimmte Aguilar zu. Seine Stimme schwankte unmerklich.
»Das Blut, das herausfloß, lief auf lange Papierstreifen aus Maulbeerbaumrinde und bildete darauf Muster aus roten Tropfen. Manche der Priester konnten aus diesen Mustern die Zukunft erkennen.« Rubicon blickte hinauf zum Himmel. »Hinterher wurden die Streifen aus blutbesprenkeltem Papier zusammengerollt und verbrannt, um durch den heiligen Rauch den Göttern eine Botschaft zu senden.«
Mit verspannten Kiefermuskeln betrachtete Scully das frische Blut auf der Säule. »Wenn einer dieser Indios sich gerade den Finger abgehackt hat, dann braucht er medizinische Hilfe. Bei einer so groben Amputation könnte der Mann leicht Wundbrand bekommen, besonders in einem Klima wie diesem.«
Aguilar fand eine verbogene Zigarette in seiner Tasche und steckte sie sich kalt zwischen die Lippen. »Sie werden ihn nicht finden, Señorita, niemals«, sagte er leise. »Der Mann dürfte weggelaufen sein, weit weg von Xitaclan. Er hat den Wächtern Kukulkans sein Opfer dargebracht – aber jetzt, wo wir seine wahre Religion kennen, werden wir ihn nicht wiedersehen. Die Maya-Leute hier haben ein langes Gedächtnis. Sie haben immer noch eine Todesangst vor dem weißen Mann und der Verfolgung... Sie erinnern sich sogar an einen der ersten weißen Gouverneure hier, einen Mann namens Padre Diego de Landa. Ein Schlächter.«
Rubicon grunzte zustimmend und verzog sein Gesicht zu einer angewiderten Grimasse. »Er war ein Franziskanermönch, und unter seinem Befehl wurden Tempel niedergerissen und Schreine zerschlagen. Wer dabei erwischt wurde, ein Götzenbild anzubeten, wurde ausgepeitscht, aufs Streckbett gespannt und mit kochendem Wasser verbrüht.«
Aguilar nickte eifrig, froh, den alten Archäologen wieder auf seiner Seite zu haben. »Si, Padre de Landa fand ein paar Indios, die die alten Inschriften noch lesen konnten, und versuchte, die Hieroglyphen zu übersetzen. Aber aus seiner Sicht war das alles gegen das christliche Wort Gottes gerichtet, eh? Es war verflucht. Als sie ihm ein geheimes Lager mit dreißig Büchern zeigten, gebunden in Jaguarfell, viele davon mit Zeichnungen von Schlangen gefüllt, kam er zu dem Schluß, sie seien alle Blendwerk des Teufels. Also ließ er sie verbrennen.«
Allein die Erwähnung dieses Verlusts schien Rubicon Schmerzen zu bereiten. »De Landa folterte fünftausend Maya und tötete beinahe zweihundert von ihnen, bevor er wegen seiner Exzesse zurück nach Spanien gerufen wurde. Während er auf seinen Prozeß wartete, verfaßte er eine lange Abhandlung über alles, was er erfahren hatte.«
»Und wurde er für sein abscheuliches Gebaren verurteilt?« fragte Scully.
Aguilar hob die Augenbrauen und gab ein hysterisches Lachen von sich. »Nein, Señorita! Er wurde zurück nach Yucatan geschickt – diesmal als Bischof!«
Mit gerunzelter Stirn und nun doch besorgten Blicken kniete Rubicon vor der blutbesprenkelten Stele nieder. Scully beugte sich neben ihn, um den abgetrennten Finger aufzuheben. Er fühlte sich warm und gummiartig an. Das eingedickte Blut am Ende tropfte nicht herab. Mit einem flauen Gefühl im Magen betrachtete sie die zerfaserte Schnittfläche, wo das Steinmesser Fleisch und Knochen durchschlagen hatte.
Wenn einige dieser Leute immer noch ihre gewalttätige Religion praktizierten, welche anderen Opfer mochten sie wohl gebracht haben... und welche würden sie noch bringen wollen?
20
Dschungel von Yucatan, an der Grenze zu Belize Dienstag, Militärzeit 0215
Der Dschungel war der Feind, ein Hindernis, ein Gegner, der besiegt werden mußte – und Major Willis Jakes hatte keine Zweifel, daß es seiner handverlesenen Schwadron gelingen würde, ihn zu bezwingen. Das war ihre Mission, und das war, was sie tun würden.
Die zehn Mitglieder seiner geheimen Infiltrationstruppe trugen Dschungel-Tarnuniformen und Nachtsichtbrillen. Nachdem sie unbemerkt an einem unbewohnten Küstenstreifen an der nördlichen Grenze von Belize abgesetzt worden waren, hatten sie sich in zwei Geländewagen durch den Urwald in Bewegung gesetzt.
Der schwierigste Teil war gleich nach der Landung zu meistern gewesen, als sie am Rande der Bucht Bahia Chetumal abgesetzt worden waren, ein paar nächtlich verlassene Straßen und die Brücke über die schmale Laguna de Bacalor unbemerkt überquert hatten, um dann in die pfadlose Wildnis von Quintana Roo einzutauchen.
Nun
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