Akte X
zweifelte nicht daran, daß Duane ihn auch aus dieser Distanz genau zwischen die Augen treffen würde.
Er bemühte sich, seiner Stimme einen möglichst beruhigenden Tonfall zu verleihen und bestimmte Sätze laufend zu wiederholen. Seine psychologischen Kenntnisse sagten ihm, daß diese Vorgehensweise hier angebracht war.
»Niemand wird irgend etwas unternehmen, Duane.«
Der Mann richtete den Blick nun auf Hakkies Kopf. Er nahm eine Hand vom Griff der Pistole, zielte aber weiterhin auf Mulder, ohne zu antworten.
»Das FBI will mit Ihnen kooperieren, Duane, aber im Gegenzug müssen auch Sie sich kooperativ zeigen.«
Diesmal sah Duane nicht einmal auf, und Mulder spürte ein Gefühl der Enttäuschung in sich aufsteigen. Was, wenn Duane ihm nicht zuhörte? Was, wenn er schon zu weit abgedriftet war, um noch zurückzukehren?
»Warum lassen Sie die anderen Geiseln nicht frei, Duane?«
»Der Doc wird mich begleiten«, erwiderte Duane beinahe geistesabwesend.
»Dann lassen Sie wenigstens die Frauen gehen.«
Duane ließ durch nichts erkennen, ob er Mulder überhaupt verstanden hatte. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Hakkie. Der Arzt hob den Kopf. Seine Augen wirkten glasig und leer. Mulder kannte diesen Blick. Er hatte ihn in den Augen von Männern gesehen, die im Todestrakt der Gefängnisse auf ihre Hinrichtung warteten.
Wenn Hakkie das überlebt, dachte er plötzlich, wird er nicht mehr praktizieren können. Er hat den Wahnsinn erlebt, den er immer gefürchtet hat.
Dieser entsetzte und gleichzeitig resignierte Gesichtsausdruck des Arztes war es dann auch, der Mulder schließlich dazu bewog, die FBI-Taktik über Bord zu werfen und sich in die unbekannte Welt Duane Barrys hineinzuwagen. Duane hatte sich schon zu weit von dieser Realität entfernt und verlor immer mehr den Halt. Wenn er überhaupt noch mit den Tricks des FBI zurückgebracht werden konnte, dann höchstens in einem Blutbad.
Aber es gab auch noch andere Tricks. Und es gab die Wahrheit...
»Waren das vorhin hier die Außerirdischen, Duane? Das Licht... Waren sie das?«
Irgend etwas flackerte in Duanes eingefallenem Gesicht auf und erlosch gleich darauf wieder. »Versuchen Sie nicht, Duane Barry zu verarschen«, warnte er.
Mulder registrierte den merkwürdigen Gebrauch der dritten Person in der Antwort des Mannes. Diese Ausdrucksweise war bei Psychopathen ein Anzeichen für ernste Gefahr, für eine Loslösung vom Selbst, eine Trennung des Es und des Ichs. Duane Barry betrachtete andere Menschen mit Sicherheit nicht mehr als Mitmenschen, aber es war durchaus möglich, daß er auch sich selbst nicht mehr als menschlich einschätzte. Was hatte man ihm angetan?
»Wir haben Zeit verloren, Duane«, fuhr Mulder leise fort. Er hob die rechte Hand mit seiner Armbanduhr. »Ich habe auf meine Uhr gesehen. Ist es nicht das, was immer passiert, wenn sie kommen? Daß die Zeit stehenbleibt?«
Die Zeit bleibt stehen...
Das war es, was zu Duane durchdrang, die Barriere durchbrach, die ihn bisher geschützt hatte. Auf einer Seite dieser Barriere war er ein Mann, ein Mensch, Duane Barry. Auf der anderen Seite war er... ... irgend etwas anderes.
Die Erinnerung explodierte mit der allzu vertrauten Gewalt in seinem Kopf. Hiebe aus purem, höllischem Licht; Licht, das im Rhythmus seines Herzschlages pulsierte; Licht, das ihn so erbarmungslos festnagelte wie ein Insekt, das mit einer Nadel aufgespießt wird.
Er lag auf dem Rücken, und das Licht dröhnte und dröhnte und dröhnte in seinem Hirn, riß die Schutzschicht zwischen ihm und... dem anderen nieder, und...
Er schüttelte den Kopf und starrte Mulder an. »Sie haben das erfunden.«
Mulder hob den Kopf. Seine sanfte Stimme wurde eindringlicher. »Ist es nicht das, was man Ihnen immer vorwirft? Daß Sie das alles nur erfinden?«
Duane warf einen kurzen Blick auf Dr. Hakkie, als wollte er sagen: Sehen Sie, es gibt jemanden, der mich versteht, der mir glaubt. Vielleicht nicht du mit deinen Spritzen, deinem zerfledderten Bart und deinem Unglauben. Aber ein anderer...
»Sie sagen, ich würde mir alles bloß einbilden.« Er starrte Hakkie böse an. Sein Atem ging stoßweise. »Alles, was sie wollen, ist, noch mehr Drogen in mich hineinzupumpen.« Er riß seinen anklagenden Blick von Hakkies schlaffem Gesicht los und richtete ihn auf Mulder. »Aber es existiert keine Pille, die mir das nehmen könnte, was in mir ist!«
Mulder trat vorsichtig einen Schritt vor und nickte. Duane hatte die
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