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Akte X

Akte X

Titel: Akte X Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skin
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neuesten Nachrichten von Barretts Fahndung am Telefon durchgegeben. Stanton hatte irgendwo im Norden Brooklyns ein Taxi zertrümmert. Der Fahrer war gerade noch mit dem Leben davongekommen. Die Suche konzentrierte sich nun auf ein fünf Häuserblocks umfassendes Gebiet, und Barrett war zuversichtlich, Stanton innerhalb der nächsten Stunden zu fassen.
    Damit wurde es für Mulder und Scully noch wichtiger, eilends voranzukommen. Sie hatten sich bereits getrennt, um die beiden Medizinstudenten so schnell wie möglich zu finden, und dennoch konnte Mulder nur beten, dass sie es noch rechtzeitig schaffen würden. Wenn Scullys Theorie zutreffen sollte, so wütete ein gefährlicher, kranker Mann noch immer in den Straßen New Yorks. Und wenn Mulder recht haben sollte . . . Eine Krankheit konnte das Phänomen, dem sie nachjagten, nicht einmal ansatzweise erklären: ein Phänomen, das imstande war, einen stillen, freundlichen Professor in einen gewalttätigen Mörder mit übermenschlicher Kraft zu verwandeln.
    Es dauerte einige Minuten, bis Mulder das Anatomielabor im dritten Stockwerk des weitläufigen Steingebäudes erreicht hatte. Außer Atem verließ er das ganz in Marmor gehaltene Treppenhaus. Vor der Doppeltür zu dem Labor lehnte er sich für einen Augenblick an die Wand, um zu verschnaufen. Durch ein rundes Fenster in der Mitte einer der Türen konnte er in den höhlenartigen Raum hineinsehen. Er war beinahe fünfzig Meter lang und rechteckig. Zwei parallel angeordnete Reihen hüfthoher Stahltische zogen sich über die ganze Länge des Raumes. Vage konnte Mulder die Wölbungen auf den Tischen ausmachen; die Leichen waren in durchsichtige Plastiksäcke eingehüllt, und an jedem Tisch, gleich neben den Abflußrinnen für Körperflüssigkeiten, befanden sich kleinere Rolltische mit leuchtendroten Plastikschalen, die dazu dienten, die entnommenen Organe aufzunehmen. Mulder würgte seine Übelkeit hinunter, als er die Handfläche an die Tür legte. Diese Reaktion hatte mehr physiologische als mentale Ursachen; er hatte im Verlauf seiner Karriere viele Leichen gesehen, und er war von Natur aus nicht zimperlich. Aber die klinische Atmosphäre in dem Autopsiesaal berührte etwas Primitives in seinem Inneren. Hier war der menschliche Körper nur noch ein Stück Fleisch. Hier gab es keinen Platz mehr für Philosophien vom Leben, von der Seele oder von Gott selbst. Hier wurde menschliche Existenz durch leuchtendrote Organschalen aus sterilem Kunststoff und Abflußrinnen aus rostfreiem Stahl definiert.
    Er öffnete die Tür und betrat das langgestreckte Labor. Der strenge Geruch von Formaldehyd drang in seine Nase, und er musste sich zusammenreißen, um nicht zu würgen. Sein Blick wanderte über die Leichentische, sprang von Beutel zu Beutel, bis er schließlich seine Beute entdeckte, allein, am anderen Ende des Raumes über einen geöffneten Leichensack gebeugt. Aus dieser Entfernung sah Michael Lifton groß und schlaksig, sein kurzes Haar leicht rötlich und seine Züge jugendlich aus. Er trug eine karmesinrote Jogginghose und ein graues, sportliches T-Shirt unter seinem weißen Laborkittel. Auf dem Rollwagen am Kopfende des Autopsietisches lag ein aufgeschlagenes, dickes Buch. Lifton schien vollends von dem vor ihm liegenden Leichnam gefesselt zu sein. Er sah nicht auf, bis Mulder nur noch wenige Schritte von ihm entfernt war, und als er es tat, schien sein verklärter Blick in weite Ferne zu schauen. Seine Augenlider waren halb gesenkt, und ein leichtes Zittern hatte seine Oberlippe befallen. War er krank? Oder nur müde? Farbe kehrte in Liftons Gesicht zurück, und er hustete. »Entschuldigen Sie. Ich habe Sie nicht kommen gehört. Kann ich Ihnen helfen?«
    Mulders Blick wanderte von Liftons Gesicht zu seinen blutverschmierten Latexhandschuhen und dem Skalpell zwischen Daumen und Zeigefinger. »Ich hoffe, ich störe Sie nicht. Ich bin Agent Fox Mulder vom FBI. Ich habe es erst in Ihrem Zimmer versucht, aber dort habe ich niemanden angetroffen. Ihr Nachbar hat mir erzählt, dass ich Sie hier finden könnte.«
    Lifton verharrte eine volle Sekunde in vollkommener Reglosigkeit. Dann legte er das Skalpell vorsichtig neben das aufgeschlagene Buch. Mulder las die fettgedruckten Buchstaben, die sich über den oberen Rand der beiden Seiten zogen: PARTIELLE DARMRESEKTION. Dann glitt sein Blick über den Unterleib der Leiche auf dem Autopsietisch. Er sah aus wie ein Beutel, aus dem sich unzählige schwarze Schlangen herauswanden.

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