Akte X
der Hautbank - jetzt ein verschwundener Leichnam. Andererseits wollte er nichts überstürzen. Er betrachtete den nervösen, halbbetrunkenen Leichenbeschauerassistenten; es war durchaus vorstellbar, dass dieser Mann die Schubladen verwechselt hatte.
»Ich werde die anderen sechs Leichen überprüfen, die in der Nacht hereinkamen. Und alle leeren Schubfächer. Müßte mit dem Teufel zugehen, wenn wir den Knaben nicht finden.« Eckleman klemmte sich die Hefter unter den rechten Arm und hastete zu der Wand mit den Schubfächern hinüber. Dann begann er, die Schubladen zu öffnen, wobei er nervöse Selbstgespräche führte. Mulder konnte deutlich erkennen, wie verlegen der Mann war. Möglicherweise war etwas Ähnliches schon früher vorgekommen. »Fach dreiundfünfzig ist in Ordnung. Angela Dotter, eines der Unfallopfer. Hat sich ein Steuerrad in die Rippen gerammt. Vierundfünfzig und fünfundfünfzig sind auch in Ordnung. Und hier haben wir noch ein Unfallopfer. Der Bursche kann kaum älter als zwanzig . . .«
Mitten im Satz brach Eckleman ab, als die Front des nächsten Schubfachs neben seinen Knien stoppte. Dann fing er an zu murmeln, halb an sich selbst gewandt. Die Heftmappen entglitten seinem Arm. Einzelne Blätter flogen heraus, als die Aktenmappen auf den Boden fielen. »Was zum Teufel. . .? Das kann doch nicht stimmen!«
Er streckte die Hand aus, und das Geräusch eines Reißverschlusses hallte durch den Raum. Mulder trat näher heran, als Eckleman sich über das Etikett am Fuß des Toten beugte. »Derrick Kaplan. Das ist er. Aber das ergibt keinen Sinn.«
Mulder blickte dem Mann über die Schulter. Der Leichnam starrte aus weit geöffneten blauen Augen zur Decke, und Mulder hörte, wie Scully geräuschvoll ausatmete, als sie sich zu ihm gesellte. Sofort war offensichtlich, was mit diesem Leichnam nicht stimmte.
Derrick Kaplan fehlte nicht das kleinste Stück seiner Haut.
»Verdammt«, fluchte Eckleman, während er sich erneut über die aufgedunsenen Lippen wischte. »Die kleinen Geier müssen den falschen Leichnam gehäutet haben.«
»Den falschen Leichnam?« hakte Mulder nach.
Eckleman antwortete nicht. Statt dessen bückte er sich und fing an, die leeren Schubfächer in der untersten Reihe zu öffnen. Jedesmal, wenn er erneut in eines dieser Fächer starrte, fluchte er, und seine Verwünschungen wurden mit jedem Fach blumiger und obszöner. »Dafür kann man mir aber nicht die Schuld in die Schuhe schieben. Auf gar keinen Fall ist das meine Schuld. Ich häute schließlich niemanden. Ich war nicht einmal hier. . .«
Eckleman unterbrach sich, als ihm plötzlich bewusst wurde, dass er das letzte Schubfach erreicht hatte. »Verdammter Hurensohn. Wenn sie ihn nicht zu einer anderen Leiche gelegt haben, dann ist er nicht hier.«
Mulder betrachtete die lange Reihe offenstehender, leerer Schubfächer. Er wusste nicht recht, ob er enttäuscht oder fasziniert sein sollte. »Können wir wenigstens herausfinden, welcher Leichnam vermißt wird?«
»Vermutlich derjenige, der ursprünglich in diesem Schubfach liegen sollte«, entgegnete Scully, wobei sie auf Derrick Kaplans Leichnam deutete. »Haben Sie nicht gesagt, dass in diesem Fach eine der sieben Leichen liegen sollte, die in derselben Freitagnacht hereingebracht worden sind?«
Eckleman nickte und ging zurück zu dem Aktenstapel, den er zu Boden fallengelassen hatte. Seine Stummelfinger zitterten, während er nach dem passenden Ordner suchte. »Ein John Doe. Wurde nach dem Unfall, von dem ich Ihnen erzählt habe, in die Notaufnahme gebracht. Ebenfalls blond, blaue Augen, aber erst Anfang bis Mitte Zwanzig. Hatte eine Drachentätowierung auf seiner rechten Schulter.«
»War John Doe ein Traumapatient?« fragte Scully. »Ist er an Verletzungen gestorben, die von dem Unfall stammen? «
Stille kehrte ein, während Eckleman die Unterlagen überflog. Dann schüttelte er den Kopf. »Eigentlich nicht. Es gab keine äußerlichen Anzeichen für eine Verletzung. Die beiden Assistenzärzte, die ihn behandelt haben, wussten nicht, woran er gestorben ist. Er war für eine Autopsie um acht Uhr morgen früh eingeplant.«
Mulder und Scully sahen einander an. Ein vermißter Leichnam und eine Autopsie, die in weniger als fünf Stunden stattfinden sollte. Ihre Spur führte mehr und mehr in die Irre, und trotz aller Mühe war es ihnen nicht gelungen, auch nur das kleinste Fitzelchen von der Spenderhaut aufzutreiben.
»Ich sollte das lieber melden«, grummelte
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