Akte X Novel
Kunststoff.
Mulder konnte es nicht erklären, aber an diesem Mann war irgend etwas Entmutigendes – sogar Makabres. Trotzdem stellte er ihm seine Frage. „Gibt es hier ein Büro, in dem ich Informationen über die Menschen erhalten kann, die hier begraben sind?“
„Über wen wollen Sie denn was wissen?“ entgegnete der Gärtner. „Ich war bei jeder Beerdigung der letzten dreißig Jahre dabei. Ich bin der letzte Mensch, der die Toten auf ihrem Weg zur ewigen Ruhe begleitet“, sagte er sonderbar stolz.
„Wissen Sie, welches Verwandtschaftsverhältnis zwischen Sarah Lynn und Howard Graves bestanden hat?“ erkundigte sich Mulder.
„Seine Tochter“, antwortete der Mann. „Die Eltern waren eines Tages nicht zu Hause, und er hatte vergessen, das Tor zum Pool zu verschließen. Sie ist ertrunken.“
„War sie sein einziges Kind?“ wollte Mulder wissen.
„Soweit ich weiß. Seine Frau hat ihn ein Jahr später verlassen. Sie ist in der Begräbnisstätte ihrer Familie begraben, an der Nordostseite des Friedhofs.“
„Danke“, sagte Mulder.
„Keine Ursache.“
Der Friedhofsgärtner schlurfte davon und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.
„Sie ist ertrunken“, wiederholte Scully, wobei sie wieder das Grab betrachtete. „Und sie war erst drei Jahre alt.“
Mulder nickte. Allmählich konnte er einen Sinn in der ganzen Geschichte erkennen. „Wenn sie noch leben würde, wäre sie jetzt in Laurens Alter.“
In jener Nacht bearbeitete Mulder in der Dunkelkammer der FBI-Außenstelle Philadelphia den Film, den Scully während der Überwachung von Lauren Kytes Haus verschossen hatte.
Der Kleinbildfilm war bereits entwickelt und getrocknet. Nun zerlegte er den Film in kürzere Streifen, die er auf einem 18 x 24 Zentimeter großen Bogen Fotopapier ausbreitete. Er schaltete ein paar Sekunden lang die Leuchte des Vergrößerers ein, um die Bilder auf das Papier zu brennen.
Im roten Licht der Dunkelkammer ließ er den Bogen in das Entwicklerbad gleiten, dann schwenkte er die Laborschale vorsichtig hin und her.
Normalerweise empfand Mulder die Arbeit in der Dunkelkammer als beruhigend, als eintönige, entspannende Routine. In dieser Nacht jedoch war er erregt und äußerst gespannt, ob die Kamera etwas festgehalten hatte, das ihm und Scully entgangen war.
Nach und nach bildeten sich Konturen heraus, und die Kontaktabzüge materialisierten sich geisterhaft auf dem Papier...
Während Mulder in der Dunkelkammer beschäftigt war, saß Scully in einem der Büroräume und tippte ihre Notizen in den Computer.
Weitere Nachforschungen bezüglich Lauren Kytes persönlichem Werdegang haben ergeben, daß sie sich von ihrer Familie entfremdet hatte. Den Daten der Telefongesellschaft zufolge hat sie während der letzten zwei Jahre keinen Kontakt zu ihren Eltern gehabt. Ihre Handlungen während der Überwachung weisen auf eine enge Beziehung zwischen Lauren Kyte und ihrem Arbeitgeber hin, dem verstorbenen Howard Graves. War diese Beziehung vielleicht das Motiv für seinen Selbstmord? In welcher Verbindung stehen der Überfall und die nachfolgende Ermordung der Mitglieder von Isfahan, wenn überhaupt? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Lauren Kyte und dem ungewöhnlichen technischen Ausfall unseres Fahrzeuges? Ich bin davon überzeugt, daß wir die Antworten auf diese Frage erhalten werden, wenn wir herausgefunden haben, wer Lauren Kytes Komplize ist...
In der folgenden Nacht schaltete Mulder in seinem Hotelzimmer eine Tischlampe an, um sich die Kontaktabzüge noch einmal anzusehen. Im Büro des FBI hatte er sie bereits wieder und wieder betrachtet, und doch war er noch immer nicht sicher, was er gesehen hatte. Vielleicht würde er hier, bei anderer Beleuchtung...
Statt zu grübeln, legte er jetzt eine Lupe auf das Blatt und musterte jede einzelne Aufnahme sorgfältig durch das Vergrößerungsglas. Bild um Bild zog vor seinen Augen vorüber, während die Lupe über die Kontaktabzüge glitt. Dann fiel ihm auf einem Foto, das Lauren am Fenster ihres Wohnzimmers zeigte, etwas auf.
Mulder blinzelte, löste für eine Sekunde den Blick, ehe er sich wieder den Kontaktabzügen zuwandte und das Bild ein zweites Mal ansah.
Da war etwas hinter dem Fenster, doch das Bild war zu klein und die Gestalt zu schemenhaft, um etwas Genaues erkennen zu können. Mulder verglich das Bild mit dem vorangegangenen. Dort war nichts in dem Fenster zu erkennen. Auch nicht auf dem Bild davor. Mulder studierte das Foto noch einmal. Er bildete sich das nicht
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