Akte X Novel
starrte sie in die Dunkelheit des Korridors. Waren das nur gewöhnliche Schatten? Ja, entschied sie nach einer Weile. Sie konnte auch nichts mehr hören. Vielleicht hatte sie sich alles nur eingebildet. Außer ihr war niemand im Haus.
Als ein bekanntes Geräusch an ihre Ohren drang, zuckte sie entsetzt zusammen. Jemand hatte soeben die Wasserhähne an ihrer Badewanne aufgedreht.
Sollte sie einfach aus dem Haus rennen? Der Gedanke, daß ein Fremder in ihr Haus eingebrochen sein könnte, nur um ein Bad zu nehmen, war furchtbar abwegig und unvorstellbar gruselig...
Aber was sollte sie tun, falls er sie hörte? Und wer war dort, in ihrem Badezimmer?
Die Neugier obsiegte.
Der Schläger in ihrer Hand zitterte, während sie sich zentimeterweise an die Badezimmertür herantastete.
Dann, aus dem Nichts oder auch von überallher gleichzeitig, hörte sie die vertraute Stimme eines älteren Mannes. Zuerst klang es, als würde er schluchzen. Dann wurde die Stimme lauter, steigerte sich zu einem herzzerreißenden Flehen: „Nein... nein... bitte, Gott... Aufhören... nein... bitte... Tu mir das nicht an!“ Dann schien die Stimme schwächer zu werden, zu brechen, und klang immer verzweifelter und hoffnungsloser. „Hör auf! Bitte, hör auf! Tu mir das nicht an. Tu mir das nicht an! Bitte!“
Wieder begann der Mann schauerlich zu schluchzen.
Laurens Kehle fühlte sich schmerzhaft trocken an. „Howard?“ flüsterte sie, doch sie erhielt keine Antwort.
Lauren nahm all ihren Mut zusammen und ging noch näher an die Badezimmertür heran, während die Stimme wieder lauter wurde, schauerlich schrill und wahnsinnig vor Angst. „Nein! Nein, bitte!“
Sie umspannte den Schläger noch fester, ehe sie die Tür zum Badezimmer aufstieß.
Der Geräusch laufenden Wassers verstummte.
Das Tröpfeln der Hähne erinnerte an ein rastloses Metronom.
Dunstschwaden tanzten schauerlich im dunklen, bläulichen Licht, das durch das Fenster hereinfiel.
Langsam betrat Lauren das Bad und schaltete das Licht an.
Der Duschvorhang verdeckte die Badewanne. Niemand war dort. Aber sie wußte, daß sie sich das Geschehene nicht nur eingebildet hatte. Und sie wußte, daß sie den Duschvorhang nicht geschlossen hatte.
Das Schluchzen war nicht verstummt. Sie konnte es noch immer hören, und der Klang der Stimme wollte sie schier zerreißen.
Als sie sich der Badewanne näherte, packte sie das Schlagholz noch fester. Noch immer hörte sie das Tropfen des Wasserhahns hinter dem Duschvorhang.
Zitternd schlug sie den Vorhang zurück – und erblickte eine Badewanne voller Wasser.
Okay, versuchte sie sich zu beruhigen, während sie allmählich wieder zu Atem kam. Das ist merkwürdig. Die Wanne ist voll Wasser, aber ich habe sie nicht gefüllt. Wenigstens gibt es hier nichts Gruseliges, nichts Beängstigendes, und damit kann ich leben.
Sie beugte sich in der Absicht vor, den Stöpsel herauszuziehen und die Wanne zu entleeren.
Doch sie kam nicht dazu, ihn auch nur zu berühren. Plötzlich erschienen zwei zerfließende Flecken leuchtenden roten Blutes in der Wanne, die immer größer wurden und im Wasser eine dichte scharlachrote Wolke bildeten.
Lauren zuckte zurück. Klickend öffnete sich der Abfluß, und das blutige Wasser drehte sich in einem wirbelnden Strudel. Lauren keuchte. Ihr ganzer Körper bebte, und sie fühlte sich unsagbar elend.
Weinend lehnte sie sich mit dem Rücken an die Wand, als das geisterhafte Blut in einem grausigen Wirbel im Abfluß verschwand.
„Howard“, schluchzte sie. Endlich verstand sie. Howard Graves hatte sich nicht selbst umgebracht. Er hatte nicht sterben wollen. Aus dem Grab heraus hatte er ihr die Wahrheit über seinen Tod offenbart.
„Oh mein Gott“, rief Lauren kläglich. „Sie haben ihn umgebracht.“
9
Mulder und Scully statteten am nächsten Morgen in aller Frühe dem Gerichtsmedizinischen Institut von Philadelphia einen Besuch ab.
„Ich glaube, Howard Graves hat seinen eigenen Tod nur vorgetäuscht“, meinte Scully, als sie einen Korridor zum Büro des Obersten Untersuchungsbeamten entlanggingen.
„Haben Sie eine Ahnung, wie schwierig es ist, den eigenen Tod vorzutäuschen?“ fragte Mulder. „Bis heute ist das nur einem Mann gelungen – Elvis.“
Scully ignorierte den Witz. „Er und Lauren Kyte sind in irgend etwas verwickelt“, erklärte sie beharrlich. „Er hat neben ihr am Fenster gestanden. Vielleicht wurden über seine Firma illegal Waffen verkauft. Es muß etwas sein, was die CIA interessiert. Das würde
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