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Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
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sich alles verändert: Der nahe Himmel war nun hell, der fernere dunkel, und das bedeutete, der Regenguss hatte aufgehört. Pelegia verrichtete ein Gebet zum Dank für die glückliche Errettung vor dem Nasswerden und schritt durch die endlos lange Allee zu dem Gutshaus.
    Als erster Gutsbewohner begrüßte die Nonne ein schneeweißer Welpe mit braunem Ohr, der aus dem Gebüsch gesprungen kam und sich sofort, ohne das leiseste Zögern, in den Saum ihrer Kutte verbiss. Der Hund war noch nicht heraus aus dem Säuglingsalter, besaß jedoch schon große Entschlossenheit. Den breitstirnigen Kopf hin und her werfend und ärgerlich knurrend, zerrte er an dem festen Stoff, und es war zu sehen, dass er diese Beschäftigung nicht so ohne weiteres aufgeben würde.
    Pelagia nahm den Räuber in die Arme, und sie sah übermütige hellblaue Augen, eine schwarz gesprenkelte rosa Nase und samtweiche Hängebäckchen, die mit Erde verschmiert waren, doch weitere Einzelheiten konnte sie nicht wahrnehmen, denn das Hundchen streckte seine lange rote Zunge heraus und beleckte ihr sehr geschickt Nase, Stirn und Brillengläser.
    Die Nonne, vorübergehend erblindet, hörte jemanden durch die Sträucher brechen. Eine Männerstimme sagte keuchend:
    »Ach, da bist du ja! Hast schon wieder Erde gefressen, du Ausgeburt des Satans! Entschuldige, Schwesterchen, dass ich den Bösen im Munde führe. Das Dummchen hat das von seinem Vater und Großvater gelernt. Uff, danke, dass du ihn eingefangen hast, ich hätt ihn sonst nicht erwischt. Flink ist er, der Teufel. Ach, schon wieder, entschuldige!«
    Pelagia drückte mit einer Hand das warme, straffe Körperchen an die Brust, mit der anderen nahm sie die besabberte Brille ab. Vor sich sah sie einen bärtigen Mann in Baumwollhemd, Plüschhose und Lederschürze, der Gärtner wohl.
    »Da haben Sie Ihren Sakussai«, sagte sie. »Aber halten Sie ihn fest.«
    »Woher weißt du seinen Namen?«, fragte der Gärtner erstaunt. »Oder warst du schon bei uns? Ich kann mich nicht erinnern.«
    »Uns Menschen im geistlichen Rang ist durch das Beten mancherlei offenbar, was gewöhnliche Sterbliche nicht wissen«, belehrte ihn Pelagia.
    Ob der Bärtige ihr glaubte oder nicht, wer weiß, aber er holte ein Fünfzehnkopekenstück hervor und schob es ihr mit einer Verneigung in die Tasche.
    »Hier, Schwesterchen, aus reinem Herzen.«
    Pelagia wies es nicht zurück. Zwar brauchte sie kein Geld, aber Gott freute sich auch über eine kleine Spende, wenn sie aus reinem Herzen kam.
    »Geh lieber nicht ins Haus«, empfahl ihr der Gärtner, »spare dir die Mühe. Unsere Herrschaft gibt frommen Besuchern kein Almosen, aus Prinzip.«
    »Ich habe Marja Afanassjewna einen Brief vom Bischof zu überbringen«, erklärte Pelagia. Der Mann von Drosdowka zog ehrerbietig die Schirmmütze, verneigte sich und ging von »Schwesterchen« über zu »Mütterchen«.
    »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt, Mütterchen. Und ich dräng mich auf mit einem Geldstück. Folgen Sie mir bitte.«
    Er ging voraus und hielt mit beiden Händen den sich sträubenden, ärgerlich winselnden Sakussai.
    Rechterhand war eine kleine Wiese mit einer weißsteinernen Laube darauf, dort erging sich ein sonderbarer Herr im Havelock, auf dem Kopf einen breitkrempigen Hut. Unterm Arm trug er einen schwarz lackierten Holzkasten und in der Hand ein langes Dreibein mit Metallspitzen. Dieses stieß er in die Erde und montierte darauf den Kasten, und nun war klar, dass es ein photographischer Apparat war, selbst in unserem entlegenen Gouvernement keine Seltenheit mehr.
    Der Herr warf einen gleichgültigen Blick auf die Nonne und sagte zu dem Gärtner:
    »Na, Gerassim, hast du den Ausreißer erwischt? Ich gehe hier im Park spazieren und nehme auf, wie der Dunst von der Erde aufsteigt. Ein seltener optischer Effekt.«
    Der Herr sah gut aus mit dem gepflegten Bart und den gelockten langen Haaren. Es war gleich zu sehen, dass er nicht von hier stammte. Er gefiel Pelagia.
    »Er ist ein photographischer Künstler«, erklärte Gerassim seiner Begleiterin, als sie ein Stück weiter waren. »Aus Piterburch. Bei uns zu Besuch. Ein Freund von unserm Gutsverwalter Stepan Schirjajew. Er heißt Arkadi Sergejewitsch Poggio.«
    Sie gingen weitere hundert Schritte, doch das grüne Dach war noch immer weit weg. Hinter ihnen schmatzten Hufe über den etwas aufgeweichten Weg. Pelagia drehte sich um und sah eine leichte zweirädrige Kutsche, darin saß ein rosiger Herr mit einem weißen Kastorhut

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