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Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
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und einem leinenen Gehrock.
    »Beste Gesundheit wünsch ich, Kirill Nifontowitsch«, sagte Gerassim mit einer Verbeugung. »Sie eilen zum Abendessen?«
    »Wohin sonst? Brrr, brrr.«
    Die blassen Äuglein richteten sich mit kindlicher Neugier auf Pelagia, und die runden Wangen falteten sich zu einem gutmütigen Lächeln.
    »Wen eskortierst du denn da, Gerassim? Oho, und da hast du auch den Erbprinzen.«
    »Die Schwester bringt der Herrin einen Brief vom Bischof.«
    Der Herr in der Kutsche machte eine ehrerbietige Miene und lüpfte den Hut von der schweißigen Glatze.
    »Erlauben Sie mir, mich vorzustellen. Kirill Nifontowitsch Krasnow, Gutsbesitzer und Nachbar. Steigen Sie ein, Mütterchen, ich nehme Sie mit, was wollen Sie sich abmühen. Auch das Hundchen kann mitfahren, Marja Afanassjewna hat gewiss schon Sehnsucht, steht auf der Treppe vor dem Haus, guckt sich nach ihm die Augen aus.«
    »Ist das von Puschkin?«, fragte Pelagia und setzte sich neben den sympathischen Schwätzer.
    »Zu viel der Ehre.« Er verbeugte sich und knallte mit der Peitsche. »Nein, von mir, ich dichte selbst. Die Zeilen fliegen mir zu bei jedem Anlass und auch ohne Anlass. Nur zu Gedichten fügen sie sich nicht, sonst wäre ich schon so berühmt wie Nekrassow und Nadson.«
    Er deklamierte:
    Meine Verszeilen sind mir recht,
sie sind vielleicht nicht mal ganz schlecht.
Sind sie auch nicht voll auf der Höhe,
so tun sie doch niemandem wehe.
    Nach wenigen Minuten fuhren sie bei dem großen Haus vor, das mit allen Attributen der Pracht aus dem vorigen Jahrhundert ausgestattet war – dorische Säulenreihe, missmutig blickende Löwen auf Postamenten und sogar bronzene Einhörner aus Groß-Jägersdorf zu beiden Seiten der Treppe.
    In der Diele fragte Krasnow flüsternd ein bildhübsches Stubenmädchen:
    »Wie geht’s ihr, Tanja? Schau, ich bringe ihr Sakussai.«
    Die blauäugige Tanja mit den schwellenden Lippen seufzte.
    »Sehr schlecht. Sie isst nicht und trinkt nicht. Weint nur. Grad vorhin ist der Doktor weggefahren. Er hat nichts gesagt, bloß mit dem Kopf geschüttelt.«
    Im dämmerigen Schlafzimmer der Kranken roch es nach Lavendeltropfen. Pelagia erblickte ein breites Bett; eine füllige alte Frau mit Häubchen lag halb sitzend auf einem Berg üppiger Kissen. Es waren noch andere Leute im Zimmer, welche die Nonne nicht gleich von der Schwelle her in Augenschein nehmen mochte, überdies mussten sich die Augen erst an die Dunkelheit gewöhnen.
    »Sakussai?«, fragte die Alte mit Bassstimme, richtete sich auf und streckte die vollen welken Arme vor. »Da bist du ja, mein Hängebäckchen. Danke, Väterchen, dass du ihn gebracht hast.« (zu Krasnow) »Und wer ist da noch? Eine Nonne? Ich seh dich nicht, tritt näher.« (zu Pelagia)
    Pelagia trat ans Bett und verneigte sich.
    »Marja Afanassjewna, ich bringe Ihnen vom Bischof den Segen und den Wunsch nach baldiger Genesung. Damit sendet er mich, die Nonne Pelagia, zu Ihnen.«
    »Was soll mir sein Segen!«, murrte die Generalswitwe Tatistschewa. »Warum kommt er nicht selbst? Ha, eine Nonne schickt er, drückt sich. Ich werde alles aus dem Testament streichen, was der Kirche zugedacht war.«
    Der Welpe war schon in ihren Händen, er leckte das alte, runzlige Gesicht.
    Zu Füßen Pelagias tönte ein lautes Bellen, und ein breitbrüstiger Rüde stemmte die weißen Vorderpfoten aufs Bett, er hatte eine platte Nase und eine beleidigt gefaltete steil gewölbte Stirn.
    »Sei nicht eifersüchtig, Sakidai«, sagte die Kranke. »Es ist ja dein Söhnchen, dein Fleisch und Blut. Na komm, lass dich streicheln.«
    Sie zauste dem Erzeuger Sakussais das breite Genick und kraulte ihn hinterm Ohr.
    Pelagia musterte derweil verstohlen die Leute im Schlafzimmer.
    Der junge Mann und das junge Mädchen waren gewiss Enkel und Enkelin der Witwe. Er hieß Pjotr Georgijewitsch, sie Naina Georgijewna, beide Telianow, nach dem Vater. Sie waren vermutlich die Hauptbegünstigten des Testaments.
    Pelagia versuchte sich vorzustellen, wie dieser helläugige brünette Jüngling, der von einem Bein aufs andere trat, den armen Hunden Gift ins Futter streute. Es gelang ihr nicht.
    Zu dem bildschönen Mädchen – groß, stolz, mit launisch herabgezogenen Mundwinkeln – stellten sich auch keine schlechten Gedanken ein.
    Da war noch ein Mann in Jackett und Russenhemd, der hatte ein schlichtes und angenehmes Gesicht, zu dem der Kneifer und der kurze dunkelblonde Spitzbart nicht recht passten. Wer das war, wusste Pelagia

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