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Al Wheeler und der Tanz in den Tod

Al Wheeler und der Tanz in den Tod

Titel: Al Wheeler und der Tanz in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carter Brown
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Klicken, und das Zimmer war erneut in totale Finsternis getaucht. Wieder schien es
eine quälende Ewigkeit zu dauern. Dann kehrte der warme violette Schein zurück
und beleuchtete dieselbe Szenerie wie zuvor, mit Ausnahme eines wichtigen
Unterschieds: Das Spiel sollte beginnen, und der Star wartete bereits inmitten
der Bühne.
    Cissie lag umgekehrt da, so daß ihr
Kopf über den Rand des Bettes hing und ihr messingblondes, in sanften Kaskaden
herabfallendes Haar in der Dunkelheit schimmerte. Der größte Teil ihres nach
oben gewandten Gesichts lag im Schatten, so daß sich das warme violette Licht
auf ihren großen Mund mit den herausfordernd geschweiften Lippen konzentrierte.
    Ihre prachtvolle Nacktheit war
eine lebendige Symphonie ineinanderfließender Höhen und Tiefen. Die
elfenbeinfarbenen korallengekrönten Brüste hoben sich mit Schwung in einem
harmonischen Crescendo nach oben und gingen dann, mit gedämpfterem Rhythmus, in konkave, der Taille zu verlaufende Linien über, die sich in einem
melodischen Kontrapunkt wieder zu den weit ausladenden gerundeten Hüften
verbreiterten. Ihre langen, nach unten schmal werdenden Beine vollendeten mit
einem weiteren atemberaubenden Schwung das letzte Glissando vom Beginn ihrer
festen, runden Schenkel bis zu dem eleganten Bogen ihres Spanns.
    Irgendwie wußte ich instinktiv,
daß es Zeit für mein Stichwort war, und gleich darauf hob Cissie in einem anmutigen Halbkreis den Kopf, setzte sich auf und drehte sich langsam
herum, bis mir ihr Gesicht zugewandt war. In ihren kobaltblauen Augen lag jener
offen gierige Glanz, als sie einen vagen Blick in die Richtung warf, wo ich im
Dunkeln stand, dann ließ sie sich zurücksinken, legte den Kopf auf das
elfenbeinfarbene Kissen und wartete.
    Ein plötzlicher jeté impromptu ließ
mich unmittelbar neben dem Bett landen; eine ungelenke arabesque brachte ihre Lippen in Reichweite meines Mundes, und ein unwillkürlicher plié ließ mich ausgestreckt aufs Bett fallen.
    Das divertissement , das nun folgte, konnte man am besten als eine Art improvisierten Balletts
bezeichnen, in dem die Tänzer zu ihrem eigenen Vergnügen tanzen. Möglicherweise
ist eine aus der Eingebung des Augenblicks heraus entstandene Choreographie
schwer zu beschreiben, mit ihrer verwirrenden Folge von enavant - und derrière -Bewegungen,
nicht zu vergessen das gelegentliche tendu — aber
sie kann sich zu lyrischen Ausdruckshöhen erheben, die eine vorgeplante,
Schritt um Schritt vorgeschriebene Routine niemals erreichen kann.
    Der Höhepunkt der gesamten
Vorführung war erreicht, als die Tänzer gemeinsam einen ekstatischen tout en l’air vollführten, der sie beide mit unglaublicher Geschwindigkeit von der Bühne
trug.
    »Al ?« murmelte Cissie einige Zeit später schläfrig.
»Erinnerst du dich, als du auf dem Boden gelandet bist ?«
    »Ich werde es nie vergessen«,
sagte ich ehrlich. »Dieser Augenblick ist bereits in der Halle meiner
unvergänglichen Erinnerungen aufgestellt .«
    »Ich frage mich nur«, sagte sie
träge, »warum du aufgeschrien hast .«
    »Nun — «, ich überlegte mir
einen Augenblick lang ihre Frage. »Ich glaube deshalb, weil ich plötzlich
herausfand, daß es einer Amateurballettratte wie mir nicht leichtfällt, einen tout en l’air mit
einer Kniebeuge in der fünften Position zu beenden .«

6
     
    Vielleicht hatte Laurence
Beaumont mir gegenüber noch immer wegen der vorhergehenden Nacht ein schlechtes
Gewissen, denn er weckte mich sanft am folgenden Morgen gegen neun Uhr, lieh
mir ein Rasiermesser und teilte mir mit, das Frühstück stehe in der Küche
bereit. Nachdem er gegangen war, öffnete ich die Augen ein wenig weiter und sah
mich in dem trübseligen Raum um, der Anton Leckwicks vorletzter Ruheort gewesen war. Die zum Fenster hereinflutende Sonne
unterstrich erbarmungslos die schäbige Kahlheit des Zimmers; im Gegensatz dazu
erschien die Erinnerung an das in weichem, warmem Violettschimmer verbrachte lustvolle Zwischenspiel völlig unwirklich. Es war ein
Fantasiegebilde gewesen, okay — aber ein reales oder unreales? Dann stand ich
auf, und in diesem Augenblick durchzuckte mein Bein ein unangenehmer Schmerz.
Damit war alles geklärt, das Fantasiegebilde war Wirklichkeit gewesen. Mein
Bein erinnerte sich an diesen letzten, qualvoll schmerzenden plié als entschiedene Realität, selbst wenn ich
nicht mehr ganz sicher war.
    Als ich in die Küche
hinunterkam, konnte ich im Wohnzimmer das Klavier klimpern hören, und ich kam
zu dem

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