Al Wheeler und der Tanz in den Tod
Schluß, daß die Proben des heutigen Tages bereits begonnen hatten. Bei
Tisch leistete mir der Impresario, Charvossier ,
Gesellschaft, der denselben grell orange- und purpurfarbenen karierten
Morgenrock trug wie in der vorhergehenden Nacht. Es war ein verteufelter
Anblick auf nüchternen Magen.
»Haben Sie gut geschlafen,
Lieutenant ?« fragte er mit gutturaler Stimme.
»Einfach großartig«, sagte ich.
»Ha!« Die winzigen Muscheln,
die er ersatzweise für Augen zu jeder Seite der krummschwertartigen Nase sitzen hatte, funkelten vor Entrüstung. »So! Während wir
alle möglicherweise in unseren Betten ermordet werden konnten, hat der
Lieutenant wie ein Klotz geschlafen ?«
Der Orangensaft war großartig,
die Pfannkuchen gehaltvoll und der Kaffee heiß. Als ich bei der zweiten Tasse
und einer Zigarette angelangt war, überlegte ich, daß Wheelers Chancen, den Tag
zu überleben, abgesehen von Voyeurs und pliés , nicht schlecht standen.
Charvossier hatte mich die ganze Zeit
über, während ich aß, mit einem Ausdruck dumpfen Hasses betrachtet, so, als sei
ich für die Ermordung seines zweiten Solotänzers verantwortlich und damit auch,
was noch wichtiger war, für die Störung seiner Proben.
»Was für Fortschritte haben Sie
bei Ihren Ermittlungen in diesem Mordfall eigentlich gemacht, Lieutenant ?« Er setzte seine Attacken mit einem unangenehm kehligen Ton fort, der den beduinen-arabischen Akzent in
seiner belegten Stimme vorherrschen ließ.
»Ich bin froh, daß Sie danach
fragen«, sagte ich kalt. »Es wird Zeit, an Sie Fragen zu richten, Charvossier , da Sie schließlich einer der Hauptverdächtigen
in diesem Falle sind .«
»Ich — ich ein
Hauptverdächtiger ?« Die kleinen Muscheln schnellten
plötzlich zurück und verschwanden fast völlig. »Was soll das? Ist das ein
alberner Witz von Ihnen? Warum sollte ich — Charvossier — diesen miserablen Tänzer umbringen? Diesen untauglichen, viertklassigen
Revuetänzer, der noch Unterricht am barré hätte nehmen sollen? Beantworten Sie mir das mal, Sie Ausbund von Unvernunft !«
»Wie kam es denn, daß Sie
diesen untauglichen, viertklassigen Revueknaben, diesen miserablen Tänzer
überhaupt engagiert haben ?« fuhr ich ihn an.
Die Frage wirkte wie eine
Adrenalininjektion auf seine bereits überaktiven Speicheldrüsen, und so
gurgelte er eine ganze Weile, bevor er eine Antwort herausbrachte.
»Ich brauchte in aller Eile
einen weiteren Tänzer«, stammelte er. »Wir waren alle dabei, hier
herauszufahren und mit den Proben für die Solopartien anzufangen. Ich mußte den
Besten nehmen, den ich in ganz kurzer Zeit bekommen konnte — und das war Anton Leckwick !«
»Sie wollen mit finanzieller
Unterstützung von Cissie St. Jerome eine ganze Saison
in New York bestreiten ?« fragte ich.
»Ja.«
»Und unter anderem wollen Sie
dieses neue Ballett von Beaumont kreieren, an dem Sie jetzt proben ?«
»Stimmt .«
»Ist Beaumont ein großes As in
Ballettkreisen ?« fragte ich beiläufig.
»Laurence Beaumont?« Er schloß
für eine Sekunde die Augen und küßte dann ekstatisch die Fingerspitzen.
»Vielleicht der brillanteste Choreograph des Jahrhunderts! Nun, nachdem er das
Ballett entworfen und die choreographische Leitung übernommen hat, wird er der
Welt zeigen...«
»Und wie steht es mit Gamble ?« unterbrach ich ihn. »Ist
er ein guter Tänzer ?«
»Es gibt zwei — « Er schürzte
für einen Augenblick die Lippen, »vielleicht drei bessere auf der ganzen
verdammten Welt .«
»Und Natasha Tamayer ?«
»Eine Ballerina par
excellence.« Seine Schultern zuckten. »Ein bißchen — zuviel Temperament, vielleicht? Das hat ihr Schwierigkeiten gemacht, keine Truppe
verträgt davon allzuviel von einer Ballerina, die
sich noch nicht das Recht dazu erworben hat, verstehen Sie. Letztes Jahr in
Mailand war Natasha noch zu neu im Fach, um ungeschoren davonzukommen. Aber was
für eine prachtvolle Tänzerin!«
»Sie haben also eine
bevorstehende New Yorker Saison ohne finanzielle Sorgen, weil Cissie für alles Erforderliche gebürgt hat«, knurrte ich.
»Sie haben ein neues Ballett von Beaumont in petto, das ein Weltschlager werden
wird und zwei erstklassige Solotänzer. Und mit all dem in der Tasche wollen Sie
mir einreden, Sie hätten keinen besseren zweiten Solotänzer finden können als
einen viertklassigen Tingelknaben wie Leckwick ?«
Er faßte mit Daumen und
Zeigefinger an seine gewaltige Hakennase und preßte sie zusammen, bis ihm vor
Schmerz Tränen aus
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