Al Wheeler und die Nackte
aller
männlichen Fleischeslust. Sie trug eine enge Bluse und einen engen Rock, und
ich hoffte inbrünstig, sie würde ihre Proportionen genau im derzeitigen Stadium
erhalten können.
»Sie haben wieder diesen glasigen
Augenausdruck«, sagte Annabelle gelassen. »Haben Sie mir inzwischen im Geist
den letzten Fetzen vom Leib gerissen?«
»Ich reiße Frauen niemals die
Kleider vom Leib«, protestierte ich. »Im Grund meines Herzens bin ich
Romantiker. Ich pflege einfach dazusitzen und zuzuschauen, wie sie sich vor mir
ausziehen.«
»Junge, Junge.« Sie schüttelte
betrübt den Kopf. »Sie sind nicht nur ein Romantiker, Al Wheeler, Sie sind der
König aller Träumer.«
»Den König aller Träumer habe
ich gerade verlassen«, sagte ich erbittert. »Er bildet sich ein, daß ich,
sofern er nur lange genug in seinem Büro herumhockt und dabei immer fetter
wird, alle seine Mordfälle für ihn aufkläre.«
»Der Sheriff setzt offenbar
Vertrauen in Sie, Al«, sagte sie voller Wärme. »Ich gebe gern zu, daß er sich
dann wohl am Rand der Verzweiflung befinden muß.«
»Tausend Dank«, sagte ich. »Was
haben Sie heute abend vor?«
»Ich bin verabredet«, sagte
sie. »Er stammt frisch aus Georgia, ist ungefähr dreißig Kilometer von meiner
Heimatstadt entfernt geboren und hält Pine City für
die große, weite Welt.« Sie seufzte leise. »Sie haben keine Ahnung, wie hübsch
es ist, jemand kennen zu lernen, der sich noch einen Rest Unschuld bewahrt hat.
Vor allem nach dem Zusammensein mit einem Exemplar äußerster männlicher Verdorbenheit
wie Sie.«
»Heißt er vielleicht Leroy?«
erkundigte ich mich verächtlich. »Und benutzt er ein Rasierwasser mit
Magnolienduft?«
»Er heißt Marvin«, sagte sie.
»Seinem Pappi gehört eine florierende Werkzeug- und
Maschinenfabrik in Georgia und er denkt daran, sie zu erweitern. Marvin hält im
Augenblick nach einem geeigneten Standort Ausschau, und er findet, Pine City entspräche ideal seinen Vorstellungen. Wenn die
neue Fabrik gebaut ist, wird er sie leiten.«
»Und Sie können Rosen neben der
Haustür pflanzen, sie mit Marvins Rasierwasser besprühen und kleine Marvins wie
Orgelpfeifen in die Welt setzen, wie? Was für eine Zukunft ist das schon für
ein Mädchen wie Sie, Annabelle!«
»Eine phantastische«, sagte sie
begeistert. »Und Marvin gefällt mir. Er ist groß, stark und großzügig.«
»Wo liegt dann der Unterschied
zwischen uns?« knurrte ich.
»Nun ja...« Sie zögerte einen
Augenblick. »Ich sollte wohl fair sein, ja? Groß und stark sind Sie auch. Aber Sie
bieten einer Frau nicht dieselben Annehmlichkeiten wie ein Millionär. Ich
meine, was für Zukunftsaussichten hat schon ein Mädchen, das lediglich damit
rechnen kann, durchschnittlich einmal im Monat um Ihre Doppelcouch herumgejagt
zu werden?«
»Aufregende«, sagte ich
überzeugt.
»Monotone«, erwiderte sie kalt.
»Aber keine Sorge, Al, wenn Marvin mir wirklich einen Heiratsantrag macht,
werde ich Sie zur Hochzeit einladen.«
»Herzlichen Dank«, sagte ich
sauer.
»Wenn Sie wollen, können Sie
uns ja Ihr Monstrum von Couch zum Geschenk machen.« Sie lächelte liebenswürdig.
»Sofern es Ihnen nicht das Herz bricht.«
Ich trottete in die kalte,
düstere Welt hinaus, während in meinem Innern eine Alarmsirene gellte.
Vielleicht machte Annabelle nur Spaß und dieser Knabe Marvin existierte
lediglich in ihrer Fantasie? Ich drückte mir im Geist beide Daumen und kam zu
dem Entschluß, das mit Sicherheit herausfinden zu müssen. Meine Welt war ohne
Annabelle Jackson entschieden unvollkommen.
Auf meiner Uhr war es zwei Minuten
nach fünf, also Zeit, heimzufahren. Aber ein engagierter Polizeibeamter wie ich
ist immer im Dienst, vor allem, wenn er nichts Besseres zu tun hat. Also fuhr
ich hinaus nach Vale Heights, um dem Haus gegenüber dem der temperamentvollen
Linda Walton einen Besuch abzustatten. Zu meiner Enttäuschung öffnete mir ein
Mann die Tür. Er war groß und kräftig und sah so aus, als pflegte er rein zum
Vergnügen gebrechliche alte Ladys zu verprügeln. Er hatte dichtes schwarzes
Haar, kalte blaue Augen und einen permanent verächtlichen Zug um den Mund. Er
mißfiel mir auf Anhieb, und ich hatte den deutlichen Eindruck, daß dies auf
Gegenseitigkeit beruhte.
»Was wollen Sie denn,
verdammt?« knurrte er.
»Ich möchte mit Donna Barnes
sprechen«, sagte ich.
»Meine Schwester ist im
Augenblick beschäftigt.«
»Lieutenant Wheeler vom Büro
des Sheriffs.« Ich zeigte ihm meine
Weitere Kostenlose Bücher