Al Wheeler und die Verführerin
Socken,
Unterwäsche und Rasierzeug. Am Boden befand sich ein frisches Hemd,
beziehungsweise eines, das aus der Wäsche gekommen war. Es war ziemlich
ausgefranst und am Kragen schon ganz grau.
»Sind Sie ganz sicher, daß Sie
nichts davon brauchen können?« sagte ich in giftigem Ton zu Jones, während ich
den Inhalt Stück für Stück auf den Tisch warf. Als ich das Hemd herausnahm,
glitt ein großer Umschlag, der hineingesteckt worden war, heraus. Ich sah, wie
Jones eine unwillkürliche Bewegung machte.
»Vermutlich haben Sie was
übersehen«, sagte ich.
Der Umschlag war an Albert
H. Marvin in New York adressiert, und zwar an eine Westside-Adresse. In der
linken oberen Ecke war die Adresse des Motels als Absender angegeben. Er war
noch nicht mit der Post geschickt worden, und allem Anschein nach handelte es
sich um etwas, was Marvin persönlich zu sich nach New York zu schicken
beabsichtigt hatte.
Ich schlitzte das Kuvert mit
dem Fingernagel auf und ließ den Inhalt herausgleiten. Sieben oder acht
Fotografien flatterten auf die zerkratzte Tischplatte, und als ich den Umschlag
nochmals schüttelte, folgte ein Bündel Negative.
»He«, sagte Jones heiser. Seine
Füße schlugen geräuschvoll auf dem Boden auf, und er reckte seinen Hals, um
besser sehen zu können. »Das ist ja allerhand.«
Wie man sie auch immer ansah —
und Jones ließ sich nichts entgehen — das waren vielleicht Dinger. Von jener
Intimität, die gewisse französische Postkarten auszeichnet, nur daß die
Darsteller keineswegs anonym waren. Auf jedem der Bilder waren Angela und
Rickie zu erkennen. Ich schob die Bilder und die Negative wieder zusammen und
steckte sie in den Umschlag zurück.
»Ihre Eile ist völlig überflüssig«,
sagte Jones bedauernd. »Ich hab’ kaum eines richtig sehen können. Wie wär’s,
wenn...?«
»Sie Lustgreis«, sagte ich,
damit offensichtlich den Nagel auf den Kopf treffend. »Sie brauchen nur so
weiterzumachen und kein respektabler Friedhof wird Sie mehr nehmen. Kein
Bestattungsunternehmer wird Sie anfassen, nicht mal mit der Feuerzange.«
»Was für eine Puppe«, sagte er
heiser. »Was für eine Figur. He, Leutnant — Sie haben doch Gelegenheit, aus der
Nähe...«
»Haben Sie eigentlich einen
Fotoapparat?« fragte ich ihn plötzlich.
»Wieso? Natürlich.« Er kratzte
sich langsam am Kopf. »Aber was...?«
»In Marvins Zimmer haben wir
keinen Fotoapparat gefunden«, sagte ich streng. »Bei Ihrer schmutzigen Fantasie
halte ich es für sehr gut möglich, daß Sie sich nachts in den Raum der beiden
geschlichen und Aufnahmen gemacht haben.«
»Sie sind wohl nicht ganz bei
Trost«, fuhr er auf. »Nie im Leben...«
»Jetzt hab’ ich’s.« Ich
schnippte aufgeregt mit den Fingern. »Klar. Und Marvin hat Sie in der Nacht
dabei erwischt und Ihnen einen solchen Schrecken eingejagt, daß Sie ihm mit dem
Hammer den Schädel eingeschlagen und die Leiche dann in seinen Raum geschleppt
haben. Am nächsten Morgen ließen Sie rasch die Bilder entwickeln, und da Sie
seine Reisetasche an sich genommen hatten, konnten Sie sie leicht hineinstecken
und es so aussehen lassen, als habe er die Aufnahmen gemacht.«
»Er hat’s getan«, keuchte
Jones. »Das ist doch seine Handschrift auf dem Umschlag. Sehen Sie sich doch
seinen Namen im Gästeregister an, wenn Sie’s mir nicht glauben.«
»Wollen Sie damit sagen, daß
Sie seinen Namen auch ins Gästebuch eingetragen haben und daß sich deswegen die
beiden Handschriften gleichen?« fragte ich kalt. »Es paßt alles zusammen. Warum
hätten Sie sonst so töricht sein sollen, seine Reisetasche an sich zu nehmen?«
Er stotterte einen Augenblick,
ohne ein Wort herauszubekommen, dann räusperte er sich verzweifelt und spuckte
aufs neue, wobei er das offene Fenster mindestens einen halben Meter verfehlte.
»Ich komme zurück«, sagte ich
ihm in meinem perfekten >Sie-haben’s-Getan<-Ton und steckte den Umschlag
ein. »Versuchen Sie ja nicht, aus der Stadt abzuhauen, Jones.«
Ich fuhr in die Stadt zurück,
erfüllt von dem Bewußtsein, daß ich meine tägliche gute Tat jedenfalls für
heute vollbracht hatte. Zumindest hatte ich Jones so weit gebracht, noch an
etwas anderes zu denken als seiner lüsternen Fantasie nachzuhängen.
Als ich ins Büro kam, war die
stets gegenwärtige Annabelle Jackson in einem anthrazitfarbenen Hemdkleid
gegenwärtig. Die Ärmel gingen bis zu ihren Handgelenken hinunter und sollten
ihr wohl einen züchtigen Anstrich geben. Indes vergebens. Bei der
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