Al Wheeler und die Verführerin
verbringen den ganzen Tag damit, Hillary
Summers zu überführen, Sie tun das äußerst Mögliche, um ihn in Angst und
Schrecken zu versetzen — ja, ihm solche Angst einzujagen, daß er einen Fehler
begeht. Das waren Ihre eigenen Worte — noch vor zehn Minuten. Stimmt’s?«
»Stimmt«, sagte ich.
»Also, er begeht den Fehler«,
donnerte Lavers. »Sie haben ihm mehr Angst eingejagt, als Sie sich je
vorzustellen gewagt haben. Sie haben ihm so eine Heidenangst eingejagt, daß er
keinen Ausweg mehr wußte — und ihm nichts blieb, außer aus dem Fenster zu
springen. Sie haben den Fall aufgeklärt, und die Sache ist beendet. Sie haben
in einer Affäre gute, schnelle Arbeit geleistet, die wirklich häßlich hätte
werden können, wenn wir nicht rasch zu einem Resultat gelangt wären. Schön!
Sogar ich muß zugeben, daß Sie hervorragend gearbeitet haben. Aber was tun Sie?
Sie fangen an, herumzugackern, daß er möglicherweise herausgestoßen wurde —
beziehungsweise, daß wir es mit einem weiteren Mord zu tun haben.«
»Es ist einfach so ein Gefühl,
das ich habe«, murmelte ich.
»Ein gefühlvoller Kriminalbeamter«,
heulte er verächtlich. »Haben Sie vielleicht Ihre Geige mitgebracht? Oder
wollen Sie diesmal aus dem Kaffeesatz weissagen?«
»Ich habe diesen Burschen nicht
sehr gut gekannt«, sagte ich. »Aber vielleicht bin ich heute nachmittag zu
einer Einsicht gelangt, als ich ihn in der Zange hatte. Sie haben ihn gesehen,
Sheriff. Ein Bursche, der Millionen besitzt, ein ebenso fragwürdiger wie
empfindsamer Charakter, der allerhand vor der Öffentlichkeit zu verbergen
hatte. Ein Irrer mit einer pathologischen Schwäche für kleine Mädchen. Deswegen
versuchte er, auch auf allen anderen Gebieten, in jeder Beziehung, so normal
wie irgend möglich zu erscheinen.«
»Aha, jetzt ist die Psychologie
an der Reihe«, röhrte Lavers.
»Es paßt aufs Haar«, sagte ich
geduldig. »Summers trug hübsche und konservative teure Anzüge, genau das, was
ein Mann in seiner Position zu tragen pflegt. Ich wette, daß er sich niemals
betrank, niemals schneller fuhr als polizeilich erlaubt war, niemals Kellner
anbrüllte oder sich über die Hotelbedienung beklagte. Er versuchte immer, sein
Wesen hinter einer Maske von Respektabilität zu verbergen, in der Hoffnung, daß
ihm die Leute das abkauften. Denn das war der einzige Weg, um sein häßliches
kleines Geheimnis zu hüten. Er besaß — gelobt sei Siegmund Freud — einen
Schuldkomplex. Wenn Hillary Summers sich das Leben genommen hätte, hätte er es
in einer ruhigen Weise auf die Art eines Gentlemans getan, vielleicht indem er
sich die Pulsadern in einem heißen Bad aufgeschnitten hätte. Aber selbst wenn
er sich entschlossen hätte, aus dem Fenster zu springen, würde er nicht
sozusagen unbekleidet herausgesprungen sein, denn das würde für ihn so etwas
wie das Eingeständnis gewesen sein, daß er kleinen Mädchen nachstellte.«
»Warum bringen Sie Ihr Hirn
nicht mal in die chemische Reinigung, damit Sie wieder klarkommen?« sagte der
Sheriff angewidert. »So ein Quatsch. Für mich ist der Fall erledigt. Summers
ermordete Marvin, und daran ändert sich nichts, es sei denn, Sie können das
Gegenteil beweisen.«
»Schön«, sagte ich
schweratmend. »Warum machen Sie dann Ihrem Blutdruck nicht mehr Luft, gehen und
lassen mich anfangen?«
Lavers starrte mich einige
Sekunden wütend an und rammte sich dann, ohne Rücksicht auf seine Vorderzähne,
eine Zigarre in den Mund. »Schön.« Er biß das Wort gleichzeitig mit dem Ende
seiner Zigarre ab. »Ich gebe Ihnen vierundzwanzig Stunden Zeit, Wheeler, um den
Beweis zu erbringen, daß er ermordet wurde. Aber nicht eine Minute mehr.«
»Vielen Dank«, sagte ich kühl.
»Hat mich gefreut«, sagte er
säuerlich und stapfte aus dem Schlafzimmer. Einige Sekunden später hörte ich,
wie er die Tür des Apartments hinter sich zuschlug.
Polnik sah mich versonnen an.
»Das ist vielleicht ‘n Ding, Leutnant. Wenn ich an all diese Frauenzimmer aus
der vornehmen Gesellschaft denke, die in die Sache verwickelt sind — ich wette,
da war ein Festessen für Sie mit drin. Aber für ‘nen armen Sergeanten ist
wahrscheinlich nicht mal ‘n Krümelchen abgefallen.«
»Polnik«, sagte ich betrübt,
»in dieser Geschichte habe ich Sie einfach ganz und gar vergessen, nicht?«
»Lassen Sie man«, sagte er
tiefbewegt. »Machen Sie sich keine Sorgen wegen mir, Leutnant. Vielleicht hab’
ich das nächste Mal Glück. Aber mit der Brünetten
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