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Alanna - Das Lied der Loewin

Alanna - Das Lied der Loewin

Titel: Alanna - Das Lied der Loewin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamora Pierce
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Gedanken schweifen. Als sie den Glutstein berührte, musste sie an die dunkle Nacht denken, in der sie die Große Muttergöttin getroffen hatte. Warum hatte sie ihr den Stein geschenkt? War es eine Waffe oder war es ein Andenken?
    Sie dachte an Jonathan. Es wäre gar nicht so schlecht, ihn zu heiraten. Irgendwann einmal, überlegte sie sich. Doch das war unmöglich; er musste eine Ehe schließen, die Tortall diente. Und ganz bestimmt wollte sie nicht jetzt heiraten; sie hatte noch so viel vor!
    Herzog Roger. Viele eigenartige Dinge waren im Lauf der Jahre geschehen, und ständig hatte sie sich gefragt, was er
im Schild führen mochte. Und doch war sie ihrem Verdacht nie sehr weit nachgegangen – warum nicht? War sie ganz einfach eifersüchtig auf Jonathans schillernden Verwandten und auf die Macht, die er über andere hatte? Oder hatte sie wirkliche Gründe für ihre Vermutung, er habe mit dem Prinzen nichts Gutes im Sinn? Die Göttin hatte sie auf eine schwer deutbare Art und Weise vor ihm zu warnen versucht. Wollten die Götter, dass sie Roger herausforderte?
    Wie denn?, dachte sie rebellisch. Ich habe keine Beweise gegen ihn und keine Möglichkeit, welche zu finden. Ich verlöre alles – Ehre, guten Ruf, Freunde, vielleicht sogar mein Leben – wenn ich Roger ohne hieb- und stichfeste Beweise beschuldigte. Ich hoffe, die Götter halten mich nicht für so leichtsinnig – oder so naiv.
    Plötzlich blinzelte sie. Licht berührte die hoch gelegenen Fenster der Kapelle, und Priester in dunklen Roben kamen hereingeschritten. Einer berührte ihre Schulter und deutete auf die schwere Eisentür. Es war Zeit für die Prüfung.
    Steif erhob sich Alanna. Ihre Knie schmerzten so, dass sie zusammenzuckte. Wo war die Nacht geblieben? Sie rieb sich die Schultern, zog eine Grimasse und folgte dem schweigenden Priester zum vorderen Teil der Kapelle. Sie richtete ihr Augenmerk auf die Männer, die die Tür entriegelten, bis sie nichts anderes mehr sah. Ihr Herz klopfte wie wild, ihr Mund war trocken, und sie merkte nicht, dass sich die Kapelle hinter ihr mit ihren Freunden füllte.
    Lautlos öffnete sich die Tür zum Prüfungsraum. Alanna musste schwer schlucken, sie straffte die Schultern und ging hinein. Rasch schlossen die Priester die Tür hinter ihr und ließen sie, wie sie so oft geträumt hatte, in völliger Finsternis zurück.

    Sie blinzelte und wartete, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Eigenartigerweise war da ein Licht, obwohl es weder Fackeln noch Fenster gab. Es war gespenstisch, aber es war da. Hoffnung flackerte in ihr auf. Vielleicht würde ihr gar nichts zustoßen.
    Sie befand sich in einem kleinen steinernen Raum, der bar jeglicher Möbel oder sonstiger Einrichtung war. Es gab weder Türen noch Fenster, durch die einer hätte hereinkommen können, und langsam fragte sich Alanna, ob das Ganze ein Scherz sein sollte, als sie von einer eisigen Windböe auf die Knie gestoßen wurde. Alanna schlang die Arme um den Körper. Ihre Zähne klapperten und ihre Kleider boten nicht den geringsten Schutz. Ich wollte, ich hätte mich wärmer angezogen, dachte sie und kämpfte gegen die Panik an, die sie immer dann überfiel, wenn sie fror.
    Jedes Mal, wenn sie sich erheben wollte, warf der peitschende Sturm sie wieder zu Boden. Ihre Hände und Füße wurden taub vor Kälte. Sie wollte sich bewegen und mit den Armen gegen den Körper schlagen, damit ihr wärmer wurde, doch der Wind presste sie auf die Erde und machte jede Bewegung unmöglich. Sie kämpfte mit aller Kraft, biss auf die Unterlippe und vergaß sogar ihre Angst. Wichtig war nur noch, am Leben zu bleiben.
    Plötzlich hörte sie Stimmen. Ebenso abrupt, wie der Wind aufgekommen war, legte er sich wieder.
    Die Stimmen wurden lauter, riefen um Hilfe und flehten Alanna an, sie vor dem Dunkelgott zu retten. Sie erkannte die Stimmen – da schrien ihr Vater, der Mächtige Thor, Jungen, die am Schwitzfieber gestorben waren, Männer, die im Kampf gegen Tusain den Tod gefunden hatten. Tränen liefen ihr über die Wangen – sie wollte helfen, doch sie wusste
nicht, wie. All diese Toten gehörten nun dem Dunkelgott. Sie war hilflos, so weh ihr das auch tat.
    Die Stimmen verstummten.
    Alanna stand langsam auf. Sie zitterte.
    Was kam als Nächstes?
    Etwas schnalzte in der Ecke hinter ihr. Alanna fuhr herum und biss sich rasch in die zusammengeballte Hand, um ihren Schrei zu ersticken – sie durfte nicht schreien! Aber wie sollte sie schweigen, wo doch

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