Alanna - Das Lied der Loewin
Stadt, das ist richtig«, gab sie zu. »Und wir kämpften mit den Ysandir – den Namenlosen«, fügte sie hastig
hinzu, als die Männer unruhig zu murmeln begannen. »Und wir besiegten sie. Leicht war es nicht.«
Ein dürrer Mann im grünen Gewand der Bazhir-Schamanen – sie waren Zauberer, doch sie verfügten nur über eine beschränkte Zauberkraft – warf seine Kapuze zurück. Sein zottiger Bart ging von seinem fahlen Kinn nach vorne ab. »Sie lügt!«, schrie er und trieb sein Pferd zwischen Alanna und die Stammesleute. »Die Lichtgöttin und der Nachtgott ritten auf einer Feuerkutsche zum Himmel, als die Namenlosen verschieden. Das ist allgemein bekannt!«
»Sie ritten zur Steinernen Stadt zurück, und zwar auf Pferden«, entgegnete Gammal störrisch. »Und die Stute, auf der die Lichtgöttin ritt, war wie diese hier – sie hatte die Farbe von Sand und Mähne und Schweif waren wie Wolken.« Während die Bazhir untereinander stritten, kam Coram näher. »Was hast du denn da bloß wieder angestellt?«, fragte er leise.
»Du solltest lieber fragen, was wir da wieder angestellt haben, Jon und ich«, wisperte Alanna zurück. »Ich erzählte dir doch, dass wir in der Schwarzen Stadt waren. Oder etwa nicht? Wir kämpften dort gegen Dämonen und Jon erfuhr, dass ich in Wirklichkeit ein Mädchen bin. Das war vor sechs Jahren.«
»Hätt ich gewusst, dass ich mit ’ner Legende durch die Gegend reite, dann hätt ich mir’s noch mal überlegt, ob ich überhaupt mitkommen will«, brummte Coram.
»Schweigt!«, befahl da Halef allen. Dann wandte er sich Alanna zu. »Lasst uns für den Augenblick annehmen, dass Ihr eine Kriegerin des nordischen Königs seid, Frau-die-wie-ein-Mann-reitet. Euer Schild ist Beweis dafür. Als Häuptling vom Stamm des Blutigen Falken lade ich euch ein heute Nacht das Feuer mit uns zu teilen.«
Alanna warf dem hoch gewachsenen Bazhir einen Blick zu . Ob ich wohl eine andere Wahl habe? überlegte sie. Schließlich verbeugte sie sich. »Eure Einladung ehrt uns. Selbstverständlich käme es uns nicht in den Sinn, sie abzulehnen.«
Das Zelt, das man ihr und Coram zugewiesen hatte, war geräumig und luftig. Auch war es großzügig mit bequemen Kissen und Teppichen ausgestattet. Alanna ließ sich zu Boden fallen und dachte darüber nach, was sie vom Dorf selbst gesehen hatte. Wenn sie grob die Zahl der Zelte überschlug, ergab sich daraus, dass der Stamm des Blutigen Falken zumindest zwanzig Familien umfasste. Einige der Ledigen lebten vermutlich von ihren Eltern getrennt gemeinsam in einem großen Zelt. Der Schamane, derjenige, der seinen Burnus mit einer grünen Kordel gegürtet trug, war im größten Zelt des Dorfes verschwunden. Nach dem zu schließen, was Sir Myles, ihr Lehrer, gesagt hatte, diente seine Unterkunft auch als Tempel des Stammes.
Ihre Grübelei wurde von drei jungen Stammesangehörigen unterbrochen. Zwei trugen den Gesichtsschleier, den alle Bazhir-Frauen anlegten, sobald sie zum ersten Mal ihre Monatsblutungen bekamen. Das größere Mädchen balancierte ein Tablett mit Speisen und Wein, das es sorgsam zwischen Coram und Alanna auf die Erde stellte. Das andere Mädchen und ein großer, hübscher Junge starrten währenddessen die Gäste an.
»Eine Frau mit hellen Augen haben wir noch nie gesehen«, meinte der Junge. »Hat das Wasser, das im Norden vom Himmel fällt, alle Farbe ausgewaschen?«
»Natürlich nicht, Ishak«, gab das kleine Mädchen zurück. »Wie käme es dann, dass ihre Augen purpurfarben sind?«
»Ishak! Kourrem! Wollt ihr still sein!«, fauchte das Mädchen,
das mit dem Tablett gekommen war. Es verbeugte sich tief vor Alanna und Coram. »Vergebt meinen Freunden. Die beiden vergessen, dass sie zu Erwachsenen des Stammes erklärt wurden.« Wütend funkelte es seine Freunde an. »Ich ließ euch mitkommen, weil ihr verspracht kein Wort zu reden. Ihr habt euer Wort gebrochen.«
»Ich habe nicht bei meinen Ahnen geschworen«, verteidigte sich der Junge namens Ishak.
»Wird Euer Kater sich von mir streicheln lassen?«, fragte Kourrem, das kleinere Mädchen, zu Alanna gewandt. »Er hat auch purpurfarbene Augen. Schön ist er. Ist er Euer Bruder, der durch einen mächtigen Zauber in einen Kater verwandelt wurde?«
Trusty nahm das Lob mit selbstgefälliger Miene entgegen, schlenderte zu den Besuchern hinüber, ließ sich streicheln und bewundern.
Die Vermutung, sie müsse mit Trusty verwandt sein, entlockte Alanna ein Lächeln. Schon viele hatten sich
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