Alanna - Das Lied der Loewin
laut die Luft ein. Ehrfürchtig fuhr er mit den Fingern über das vergoldete Metall. Alanna hatte beides zum achtzehnten Geburtstag von ihren Freunden bekommen. Kettenhemd und Beinkleider waren extra für sie angefertigt worden und waren viel leichter als ihre Rüstung aus gewöhnlichem Metall. Sie schnallte sich den mit Amethysten besetzten Gürtel um die Taille und löste die Scheiden für Schwert und Dolch, da es unhöflich gewesen wäre, bewaffnet zu gehen. Außerdem schmerzte es sie immer noch, Blitz anzusehen. Zuletzt hängte sie sich die mit einer drohend aufgerichteten Löwin verzierten Panzerhandschuhe an den Gürtel und nickte Coram zu. »Ich warte draußen auf euch beide«, sagte sie beiläufig. »Ich brauche Zeit zum Nachdenken.«
In Wirklichkeit hatte sie gehört, dass Trusty dicht vor dem Zelt leise fauchte. Sie trat hinaus zu ihrem Kater und sah sich in der rasch herabsenkenden Dunkelheit nach allen Seiten um. »Was willst du?«, flüsterte sie. »Wir müssen diesen Leuten...«
Schatten bewegten sich in der Dunkelheit. Alanna erstarrte.
Da tauchte Akhnan Ibn Nazzir auf. Er führte ein Pferd und verschwand mit ihm in der Nacht. »Was glaubst du wohl, was der im Schilde führt?«, fragte Alanna ihren Kater. »Glaubst du, er will uns Ärger machen?«
Ja, das glaube ich, entgegnete der Kater. Er hat sich bei den jungen Leuten, die in dein Zelt kamen, erkundigt, was du Wertvolles besitzt. Ich glaube kaum, dass er gefragt hat, weil er es so gut mit dir meint.
Alanna seufzte und ging dann hinter Ishak und Coram her zum Lagerfeuer. War das Leben nicht so schon schwierig genug, auch ohne dass sie einen Bazhir-Schamanen zum Feind hatte?
Man gab ihr den Platz zur Rechten von Halef Seif. Coram ließ sich neben ihr nieder, Trusty machte es sich vor ihren überkreuzten Beinen bequem. Während sich die Männer des Stammes in dem großen, vom Licht des Feuers erhellten Kreis versammelten, nahm Alanna Halef Seif genauer in Augenschein. Jetzt, wo er die Kapuze seines Burnus vom Kopf gestreift hatte, schätzte sie ihn auf Ende dreißig. Er war mager, hatte eine Hakennase und von seinen Nasenflügeln liefen scharfe Linien bis hinunter zu seinem schmallippigen Mund. Ein Mann, der schon eine Menge erlebt hat , dachte Alanna bei sich.
Die Frauen des Stammes standen hinter den Männern. Ihre Augen funkelten über den Gesichtsschleiern. Alanna versuchte ihre Nervosität zu verbergen. Sie wollte sich mit diesen Leuten gut stellen, doch hatte sie keine Ahnung, ob die sich auch mit ihr gut stellen wollten. Ein grüner Schatten fiel ihr in die Augen. Mit den anderen zusammen drehte sie sich um und sah zu, wie sich der Schamane gegenüber von Halef Seif niederließ. Er sah sehr zufrieden mit sich aus, und
ein Gefühl sagte Alanna, dass er nichts Gutes im Schilde führte.
Halef erhob die Stimme, damit ihn alle hören konnten. »Unser Stamm ist in zwei Lager gespalten. Das eine sagt, man solle die beiden Eindringlinge aufnehmen, denn es handle sich um eine von den Göttern Erwählte und ihren Bediensteten und beiden gebühre es, dass wir ihnen Ehre erweisen. Das andere Lager verlangt ihren Tod, da sie Untertanen des Königs im Norden seien und weil sich eine Frau nicht aufführen dürfe wie ein Mann. Unsere Bräuche verlangen, dass sich die Fremden beide Meinungen anhören und Stellung dazu nehmen. So war es von jeher. Bevor andere sprechen, will ich sagen, was ich sagen muss. Ich bin der Häuptling vom Stamm des Blutigen Falken: Dies ist mein Recht.
Ich weiß nicht, ob diese Frau die Lichtgöttin ist, die mit dem Nachtgott kam, um uns vom Joch der Schwarzen Stadt zu befreien. Sie behauptet im Dienste des Königs aus dem Norden zu stehen, der unser Feind ist. Doch kam sie in friedlicher Absicht, bis die Männer aus den Hügeln sie angriffen. Sie kämpfte gut; sie und ihr Diener töteten viele der Männer von den Hügeln, die auch unsere Feinde sind.
Sie reitet wie ein Mann, geht unverschleiert wie ein Mann, kämpft wie ein Mann. Sie soll sich als Mann beweisen, sie soll zeigen, dass sie ihre Waffen zu Recht trägt und unsere Freundschaft verdient.« Halef Seif hatte geendet und neigte den Kopf.
Jetzt begann die Diskussion. Der Schamane sprach als Nächster. Alanna war nicht überrascht, als er sie wegen ihres Aufzugs und ihrer Lebensweise der Götterlästerung bezichtigte. Einige der Priester im Königspalast hatten mehr oder
weniger dasselbe gesagt, als sie erfahren hatten, dass Alanna in Wirklichkeit ein Mädchen war.
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