Alanna - Das Lied der Loewin
Myles feierlich und seine Augen strahlten verschmitzt.
»Möglich, dass ihn etwas Verantwortung zur Ruhe bringt«, räumte Alanna seufzend ein. »Ich glaube natürlich nicht, dass er ein schlechter Kerl ist, nein, ich glaube, er ist sogar ein sehr guter. Aber in letzter Zeit weiß ich nicht so recht, ob ich ihn sonderlich leiden mag. Ich sage mir unentwegt,
dass er darüber hinwegkommen wird, aber was ist, wenn nicht?«
»Viele junge Frauen würden alles dafür geben, eine solche Chance zu bekommen wie du.« Myles war unmöglich anzusehen, was er dachte.
»Ich nicht«, sagte Alanna gereizt und spielte an ihrem Glutstein herum. »Ich bin glücklich, seit ich hier bin, und das gefällt mir. Ich will es nicht aufgeben. Ich will nicht so gesittet sein, wie das von der Frau eines Edlen erwartet wird. Der König und die Königin würden versuchen, mir auszureden, mich bequem zu kleiden. Möglicherweise würden sie sogar versuchen, mich vom Heilen abzuhalten. Ich könnte nicht mehr hingehen, wo ich will. Keine Risiken mehr, keine Abenteuer.« Sie errötete. »Ich liebe Jon, aber da sind zu viele Fragen, die ich noch beantworten muss. Drängen lasse ich mich nicht. Ich bin nicht sicher, ob ich bereit bin für die Ehe, selbst wenn er es ist.«
Mit Staunen bemerkte sie, dass ihr Adoptivvaters sie stolz betrachtete. »Wenige sind klug genug sich klarzumachen, dass sie möglicherweise noch nicht bereit sind für ein derartiges Wagnis. Zu viele stürzen sich in die Ehe, nur um zu entdecken, dass sie wenig wissen über das, worauf sie sich eingelassen haben. Ich sehe mit Freude, dass du dir die Sache gut überlegst. Übrigens – ich traf Georg Cooper, bevor ich Corus verließ.«
»Wie ging es ihm?« Alanna fragte sich, wieso Myles auf den König der Diebe zu sprechen kam.
»Er bat mich dir auszurichten, er zöge für ein Weilchen nach Caynnhafen. Es scheint, als machten ihm die Schurken dort Ärger, also plant er, sie wieder auf Kurs zu bringen.« Myles zog aus einer versteckten Tasche einen verknitterten Zettel, auf den Georg als Adresse »Haus Azik, Hundegasse«
gekritzelt hatte. »Er hofft, du wirst ihn besuchen kommen, falls es deine Pflichten hier zulassen.«
Alanna faltete den Zettel zusammen. Ihr Herz machte einen Satz. Georg wiederzusehen! Dann fiel ihr Jonathan ein. Als zukünftige Braut des Prinzen wäre sie möglicherweise nie mehr in der Lage, Georg allein zu treffen.
»Ich bezweifle, dass ich ihn besuchen kann«, sagte sie und erhob sich. »Entschuldige mich, Myles. Ich will Moonlight etwas Bewegung verschaffen.«
Mit eiligen Schritten ging sie zum Pferdepferch und sattelte die Stute. Sie hörte nicht auf ihren gesunden Menschenverstand. Zwar hatten sich die Männer aus den Hügeln seit Ishaks letztem Kampf nicht mehr in die Nähe des Stammesgebiets gewagt, aber es war gut möglich, dass sie nur auf eine Gelegenheit warteten sich einen einzelnen Reiter zu schnappen. Es wäre vernünftiger gewesen, einen Begleiter mitzunehmen.
Allein ritt sie auf die offene Wüste zu. Sie wünschte sich, es wäre möglich, so so schnell zu reiten, dass man Probleme und Kummer hinter sich ließ.
Frei sein – wirklich frei, dachte sie, als sie Moonlight zum Galopp antrieb. Sich nie um irgendetwas oder irgendeinen sorgen müssen, hingehen können, wo man will, ohne auf irgendwelche Leute Rücksicht zu nehmen ... In Corus habe ich Roger und alle anderen mit mir herumgetragen und genauso trage ich jetzt den ganzen Stamm mit mir herum, seit ich Akhnan Ibn Nazzir tötete. Ich wollte, ich müsste nur mich allein tragen ...
Hufgetrappel erschallte hinter ihr. Sie ließ sofort Moonlight wenden und riss blitzschnell das Kristallschwert aus der Scheide. Dann, als sie Coram und seinen kastanienbraunen Wallach entdeckte, lächelte sie kläglich.
Ich glaube, wenn ich keinen hätte außer mir, wäre ich auch nicht glücklich, dachte sie seufzend und wartete, bis Coram sie eingeholt hatte.
Alanna begann in Ali Mukhtabs Zelt zu schlafen, damit sie ständig mit ihrer Gabe und ihren Heilmitteln zur Verfügung stand, um seine schwindende Kraft zu unterstützen. Am letzten Tag vor Neumond schickte Mukhtab Jonathan weg, damit er sich ausruhte und Kraft sammelte. Der Unterricht war abgeschlossen; nur noch der Ritus stand aus. Nachdem Alanna alle anderen verscheucht hatte, versetzte sie Ali Mukhtab in einen tiefen Schlummer, weil sie hoffte ihm dadurch zusätzliche Kraft für die am Abend stattfindende schwere Prüfung zu
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