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Alanna - Das Lied der Loewin

Alanna - Das Lied der Loewin

Titel: Alanna - Das Lied der Loewin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamora Pierce
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alles still. Die Winde verstummten und machten einer Wüstenbrise Platz. Umar Komm lockerte den Griff, mit dem er Alanna hielt; die spürbar in der Luft liegende Macht begann zu schwinden.
    »Nun werden wir sehen«, verkündete er und bückte sich nach dem Stab, den er fallen lassen hatte, um Alanna festzuhalten.

    »Kommt!«, befahl er den Schamanen, und gemeinsam gingen sie zur Hügelspitze. Andere traten zu Mukhtab, doch Alanna kniete neben Jon und suchte mit zitternden Fingern nach seinem Puls. Sein Herzschlag war langsam und stark. Sie griff nach seinem Arm. Schon wollte sie von ihrem Gewand einen Stoffstreifen abreißen, um ihn als Binde zu benutzen, da hielt sie inne. Zwei Narben, die eine rötlich, die andere blau getönt, liefen vom Ellbogen bis zum Handgelenk des Prinzen hinunter. Die blaue Narbe fühlte sich warm an – weit wärmer, als Jons Körperwärme sie hätte machen können. Alanna schauderte. Eine ebensolche Narbe hatte Ali Mukhtab am rechten Arm.
    Sie sah zu Umar Komm hoch. »Es geht ihm gut.« Dann wandte sie den Blick den anderen Schamanen zu, die gerade Ali Mukhtab hochhoben. »Was ist mit der Stimme?«, flüsterte sie. Sie wusste die Wahrheit, noch während sie fragte.
    Jonathan rührte sich, setzte sich auf, rieb die blaue Narbe. »Ich bin die Stimme der Stämme«, sagte er mit rauer Stimme. »Ali Mukhtab, der die Stimme war, ging von uns. Ich bleibe.« Er stützte sich auf Alannas Schulter und erhob sich, während weiter unten die Zuschauer jubelten, bis ihnen die Kehlen schmerzten. Männer traten vor und ergriffen Mukhtabs Körper. Alanna wischte die Tränen weg, die ihr über die Wangen liefen.
    »Er ist nicht verschwunden«, sagte Jonathan. »Er ist hier, in mir. Alle sind sie hier, alle Stimmen. « Er blickte einen in der Nähe stehenden Mann an. »Es wird nicht so schlimm werden, Amman Kemail. Weise bin ich nicht, aber ich kann jederzeit noch dazulernen.«
    Der Häuptling lächelte dünn. »Im Augenblick deines Werdens waren wir alle bei dir ...« Sein Blick wanderte rasch zu
Alanna und wieder zurück. »Alle, außer der Frau-die-wie-ein-Mann-reitet. Du wirst genügen, Jonathan von Conté.«
    Sie fassten sich an den Armen. »Wenn ich Erfolg haben werde, dann habe ich es den Bazhir zu verdanken, nicht mir«, entgegnete Jon.
    Halef Seif näherte sich. Er verbeugte sich tief vor dem Prinzen, der nun ihre Stimme geworden war. »Es wird Zeit, dass unsere Leute in angemessener Form ihrem Jubel Ausdruck geben«, sagte der Häuptling vom Stamm des Blutigen Falken. »Ali Mukhtab ist von seinen Qualen erlöst, die Stimme der Stämme besteht weiter. Lasst uns seine verlassene Hülle verbrennen und ihn mit unserer Liebe zu den Göttern senden! Kommt hinab ins Dorf! Wir werden Ali Mukhtabs gedenken und auf unsere Hoffnung trinken, dass Frieden herrschen möge.«
     
    »Wie war es?«, fragte Alanna Jon. Zusammengekuschelt lagen sie da. Trusty ruhte zwischen ihnen auf den Decken, frühmorgendliche Sonnenstrahlen fielen durch den Zelteingang herein.
    Eine lange Weile sagte er nichts.
    »Es war das Schlimmste, was ich jemals erlebte«, sagte er schließlich. »Sogar schlimmer als der Ort zwischen Leben und Tod, damals, als du mich vom Schwitzfieber heiltest. Schlimmer als der Kampf gegen die Ysandir in der Schwarzen Stadt. Es war, als ob...« Er holte tief Luft. »Als ob Tausende von Menschen in meinem Kopf schrien und jeder wollte zuerst gehört werden. Als wäre ich jeder einzelne dieser Menschen, nur schmerzte alles Schlimme, was jeder von ihnen erlebt hatte, noch mehr, weil der Schmerz vervielfältigt wurde. Ich lebte die Leben aller Stimmen. Es gab vierhundertfünfzehn
von uns, Alanna. Und ich sah meinen eigenen Tod. Ich war eine Kette, und alle Glieder versuchten sich auseinanderzuzerren. Für eine Weile verlor ich Jonathan, ich war alles, nur nicht er.«
    »Kein Wunder, dass du geschrien hast«, flüsterte sie und zog ihn so nah an sich, wie es der zwischen ihnen liegende Kater zuließ.
    »Aber die Dinge, die ich sehen konnte!« Er hatte Alanna nun vergessen, gab sich seinen Erinnerungen hin. »Ich sah die Zauberkraft, die Trusty an Ali Mukhtab weitergab, um ihn am Leben zu halten. Ich sah die Paläste, die wir einst besaßen jenseits des Binnenmeers. Ich sah uns vor den Ysandir fliehen und Persopolis bauen. Ich spürte den Wind in unseren Gesichtern, als wir über den Sand ritten, frei und ohne König. Ich sah die Götter, die zuschauten, wie wir lebten. Die Muttergöttin ist wunderschön«,

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